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Insel der Verlorenen Roman

Titel: Insel der Verlorenen Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Colleen McCullough
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Kopf und trampelte fluchend darauf herum.
     
    Vielleicht lag es an der drückend schwülen Hitze, vielleicht hatte die Alexander dem Tod auch nur eine Atempause gegönnt, jedenfalls begann am 29. Juni wieder das Sterben. Bordarzt Balmain, der wegen des Gestanks nur sehr widerwillig ins Gefängnis hinabstieg, war mit einem Mal genötigt, einen Großteil seiner Zeit dort zu verbringen. Doch seine Arzneien bewirkten nicht viel, weder die Brechmittel noch die Abführmittel.
    Wie groß doch die Macht des Aberglaubens war! Die Alexander durchpflügte gerade eine zähe, kobaltblau schimmernde See, als die ersten Krankheitsfälle auftraten, und die Sträflinge sahen darin den deutlichen Beweis, dass ein Fluch auf dem Schiff lag. Das Meer hatte sich in blaue Kiesel verwandelt, und alle würden jetzt sterben.
    »Das sind doch Nautilusschnecken!«, rief Bordarzt Balmain aufgebracht. »Wir sind in einen riesigen Schwarm Nautilusschnecken geraten - portugiesische Kriegsschiffe, wie man sie bei der Marine nennt. Hellblau glänzendes Meeresgetier! Etwas ganz Natürliches und kein Zeichen für den Zorn Gottes! Himmeldonnerwetter noch mal!« Er fuchtelte mit den Armen und zog sich, an der Menschheit verzweifelnd, in seine Kabine auf dem Achterdeck zurück.
    »Warum heißen sie portugiesische Kriegsschiffe?«, fragte Joey Long, als Richard an Ikes Krankenlager trat, um ihn abzulösen.
    »Weil die portugiesischen Linienschiffe in derselben blauen Farbe gestrichen sind«, antwortete Richard.
    »Nicht schwarz und gelb wie unsere?«

    »Joey, wenn sie genauso gestrichen wären, wie könnte man dann Freund und Feind unterscheiden? Ist die Luft erst mal von Pulverdampf geschwängert, sind Flaggen und Hoheitszeichen kaum noch zu erkennen. Geh jetzt an Deck, du hockst mir zu viel hier unten.« Richard setzte sich neben Ike, zog ihm Hemd und Hose aus und wusch ihn mit einem Schwamm.
    »Balmain ist ein Quacksalber«, krächzte Ike.
    »Nein, er ist nur mit seinem Latein am Ende. Er weiß nicht, was er noch tun kann.«
    »Weiß das überhaupt einer? Irgendwo?« Ike bestand nur noch aus Haut und Knochen. Die Haare waren ihm ausgefallen, seine Nägel hatten sich weiß verfärbt, seine Lippen waren geschwollen und rissig, seine Zunge belegt. Doch am schlimmsten fand Richard seine verschrumpelten Genitalien. Ach Ike!
    »Los, mach den Mund auf.« Er drehte den Zipfel eines Lappens zusammen, tauchte ihn in gefiltertes Wasser und reinigte dem Straßenräuber damit behutsam Zähne und Zunge. Manchmal, so dachte er bei der Arbeit, ist es von Nachteil, wenn man groß ist. Wäre Ike so klein wie Jimmy Price, wäre er längst von seinen Leiden erlöst. Doch er war früher ein wahrer Muskelprotz gewesen, und das Leben war zäh. Kaum einer gab kampflos auf, die meisten klammerten sich ans Leben wie Napfschnecken an einen Felsen.
    Der Gestank wurde immer schlimmer, und die Ursache war das Bilgewasser. Obwohl Balmain seit sieben Jahren Marinearzt war, fühlte er sich durch die Zustände auf der Alexander überfordert. Auf sein Drängen hin wurden Windsäcke angebracht, Trichter aus Leinwand, die durch Löcher in den Decksplanken Frischluft in die stickigen Winkel des Gefängnisses blasen sollten. Captain Sinclair hatte energisch dagegen protestiert, doch Balmain hatte darauf bestanden, und aus Sorge um den Ruf der Alexander , die mittlerweile als Todesschiff galt, hatte der Captain schließlich eingelenkt und Chips den Auftrag gegeben, die Löcher zu bohren. Aber wenn überhaupt, so gelangte nur sehr wenig Frischluft ins Gefängnis, und die Zahl der Fieberkranken stieg weiter.
    Richard war zwar dünn, aber wohlauf, und auch seinen Kojengenossen
und den vier anderen in Ikes Koje ging es gut. Willy Dring und Joe Robinson hatten das Unterdeck endgültig verlassen, sodass die drei Zurückgebliebenen - seit Portsmouth hatten sie einen Mann verloren - so viel Platz hatten wie normalerweise sechs Häftlinge. Und Tommy Crowders Koje stand mit Sergeant Knight in so gutem Einvernehmen, dass seine Leute ein recht angenehmes Leben führten. Trotz dieser positiven Anzeichen ahnte Richard freilich, dass der neuerliche Ausbruch der Krankheit böse Folgen haben würde.
    Am 4. Juli starb erneut ein Mann und dreißig Sträflinge lagen im Fieber. Es war, als sei der Bauch der Alexander mit halb verwesten Leichen voll gestopft. Bordarzt Balmain schüttelte den Kopf. Wie konnten es die armen Teufel in diesem bestialischen Gestank nur aushalten?
    Am nächsten Tag übermittelte die

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