Insel der Verlorenen Roman
wischte sich das Kinn mit einer Serviette ab, die die gute Mrs Morgan aus einem alten Leinentischtuch genäht hatte - die Frau war wirklich eine Perle! Der Major hatte schon oft überlegt, warum Richard Morgan sie verstoßen hatte. Vermutlich hatten die beiden sich im Bett nicht verstanden, denn eine Verführerin war Mrs Morgan gewiss nicht. Er faltete die Serviette zusammen und blickte Hunter an, der am anderen Ende des Tisches saß.
»Ja und?«, fragte er.
»Was gibt Ihnen das Recht, Entscheidungen über meine Besatzung zu treffen?«
»Ich bin immer noch Vizegouverneur und kann Leute nach meinem Ermessen umsiedeln. Hier werden bald über 150 Frauen eintreffen, deshalb will ich nicht, dass in Sydney Town Schläger herumhängen, die außer essen nichts tun.«
Hunter stieß seinen Teller so heftig zurück, dass sein leerer Becher umkippte, und beugte sich vor. »Jetzt reicht’s mir aber!«, schrie er und schlug mit der Faust auf den Tisch. »Sie sind ein Tyrann, Ross, und das werde ich dem Gouverneur sagen, wenn ich nach Port Jackson komme! Sie lassen meine Männer hängen und auspeitschen, und dafür verfluche ich Sie! Sie haben Männern der Königlichen Marine Arbeiten zugemutet, zu denen ich nicht einmal Judas Ischarioth verdammen würde.« Er sprang auf und starrte Ross zornig an.
»Das habe ich in der Tat«, sagte Ross mit trügerischer Freundlichkeit. »Es ist Balsam für meine Seele und meine Augen, die Marine ausnahmsweise einmal arbeiten zu sehen.«
»Und ich sage Ihnen, Major Ross, meine Männer bleiben, wo sie sind!«
»Mitnichten!« Ross stand ebenfalls auf. Seine Augen funkelten vor Wut. »Ich ertrage Sie und Ihren verwöhnten Haufen nun schon seit fünf Monaten und wie es aussieht, muss ich Sie noch weitere
sechs Monate ertragen - aber nicht in meiner unmittelbaren Nachbarschaft! Sie halten sich für die Herren der Schöpfung, aber das sind Sie nicht! Jedenfalls nicht hier. Hier sind Sie nur ein Pack von Schmarotzern, die anderen Leuten das Blut aussaugen. Auf dieser Insel führt ein Seesoldat das Kommando, und zwar ich! Sie tun, was ich Ihnen sage, Hunter, und damit basta! Treiben Sie mit Ihren Schiffsjungen, was Sie wollen, aber nicht hier, sondern an der Straße nach Cascade!«
»Ich bringe Sie vors Kriegsgericht, Ross! Ich sorge dafür, dass Sie mit dem ersten Schiff nach Hause geschickt werden!«
»Versuchen Sie’s doch, Sie Schwuchtel! Aber denken Sie daran, dass nicht ich ein Schiff verloren habe, sondern Sie! Wenn ich wegen Ihnen nach England zurückkehren und vor dem Kriegsgericht erscheinen muss, dann sage ich aus, dass Sie Ihr Schiff deshalb verloren haben, weil Sie keinen Rat von uns annehmen wollten!« Ross brüllte jetzt. »Die Wahrheit ist doch, Hunter, dass Sie als Kapitän völlig unfähig sind!«
Hunters Gesicht war puterrot angelaufen. »Pistolen!«, stieß er hervor. »Morgen bei Tagesanbruch.«
Der Major brach in schallendes Gelächter aus. »Dass ich nicht lache! Ein Duell mit einer Schwuchtel, die schon mit einem Fuß im Grab steht! Das ist unter meiner Würde. Verschwinden Sie! Los, machen Sie, dass Sie rauskommen, und lassen Sie sich in Sydney Town nicht mehr blicken, solange ich hier Vizegouverneur bin!«
Captain Hunter stürmte empört aus dem Zimmer.
Die anderen blickten einander über den Tisch an und Ross seufzte tief. »George, schenken Sie uns bitte Portwein ein. Ich möchte zum Abschluss dieses denkwürdigen Mahls mit Ihnen auf Seine Majestät den König anstoßen und auf die Marineinfanterie, die vom König eines Tages bestimmt zur Königlichen Marineinfanterie erhoben wird. Dann ziehen wir mit der Königlichen Marine gleich.«
Am Freitag, dem 13., einem Tag, an dem die ganze Inselgemeinde vor abergläubischer Furcht zitterte, wurden in Cascade die weiblichen Sträflinge der Surprize an Land gebracht.
Richard hatte inzwischen zehn Sägegruben zu beaufsichtigen, und Ralph Clark wollte in Charlotte Field eine weitere Sägegrube anlegen - Ross drängte auf eine möglichst schnelle Fertigstellung der dortigen Siedlung.
Am frühen Morgen des 13. August teilte Richard Major Ross allerdings mit, dass er seine Männer nicht dazu überreden konnte, an einem Unglückstag zu arbeiten. »Natürlich könnte ich Richardson mit der Peitsche kommen lassen, Sir. Dann würden sie zwar arbeiten, aber in einer solchen Panik, dass Unfälle zu befürchten wären. Und gerade jetzt, wo wir Holz für so viele neue Hütten zusägen müssen, kann ich es nicht riskieren, dass
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