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Insel der Verlorenen Roman

Titel: Insel der Verlorenen Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Colleen McCullough
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hatte, so hatte er sich doch stets damit trösten können, dass Richard keinem anderen gehöre. Doch das stimmte nicht. Richard gehörte seinen toten Angehörigen, vor allem seinem Sohn, den er für immer verloren glaubte. Bis Gott ihm Catherine Clark sandte, die ihn mit den Augen seines Sohnes ansah. Eine Gunst des Himmels. So schnell konnte es gehen. Ein Blick, ein Lachen, ein Wort, eine Geste, ohne Bedeutung für andere, da die Bedeutung im Einmaligen und Individuellen lag.
    »Es freut mich, wenn es dir jetzt leichter ums Herz ist«, sagte Stephen.
    Die Schlafzimmertür ging auf, die beiden Männer drehten sich um.
    Kitty lächelte feierlich wie ein Kind beim ersten selbstständigen Botengang. In Richards Augen war sie wunderschön, frisch gewaschen vom seidigen Haar bis zu den perlenfarbigen Zehennägeln. Reizend, liebenswert, seine kleine Kitty, für die er bis zu seinem Tod sorgen würde.
    Für Stephen war sie nur etwas ansehnlicher als das schmutzige Ding von vorhin - verhärmt und reizlos. Das Lächeln? Gewöhnlich, ein wenig rührselig. Wie verschlungen waren doch die Wege des Schicksals! Ausgerechnet diese graue Maus hatte das Schicksal mit dem einzigen Vorzug auf dieser Welt ausgestattet, der Richard Morgan zu betören vermochte.
    »Du brauchst ein Hemd, bevor wir uns dem Augustwind in Sydney
Town aussetzen«, sagte Stephen und warf Richard eins zu. »Kitty, deine Schuhe waren so schmutzig, dass wir sie verbrennen mussten. Ich besorge dir so schnell wie möglich neue, aber du musst dich von uns zu Richards Haus tragen lassen.«
    »Könnte ich nicht hier bleiben?«
    »In einem Haus, in dem es bloß Hängematten gibt? Außerdem erwarte ich später noch Besuch. Fertig?«
    Draußen fassten sich Stephen und Richard an der Hand. Kitty hüpfte auf die so gebildete Trage, legte Richard den einen, Stephen den anderen Arm um den Hals, und die beiden Männer trugen sie, jeder eine Fackel in der freien Hand, durch das Tal bis zum Saum des Waldes, an dem Richards Haus stand.
    Sie machten Feuer und stapelten Holz neben dem Kamin, dann verabschiedete sich Stephen von Richard, machte eine tiefe Verbeugung vor Kitty und überließ die beiden sich selbst. Er hatte noch zu tun, und morgen früh begann wieder die Arbeit mit den Sträflingen. Ach nein! Morgen war ja Sonntag.
    Aus Sorge, Kitty könnte sich auf dem Weg die nackten Füße verletzen, trug Richard sie zum Abtritt und hinterher wieder ins Haus. »Weck mich, falls du in der Nacht noch mal raus musst«, sagte er und legte sie in sein Federbett.
    »Und wo schlafen Sie?«, fragte sie.
    »Auf dem Fußboden.«
    Sie öffnete den Mund, um etwas zu sagen, doch der Schlaf überwältigte sie, ehe ihr ein Wort über die Lippen kam. Richard wusste, dass kein Geräusch der Welt sie jetzt noch wecken konnte. Er schlüpfte aus seinen Kleidern, legte sie in einen Kübel und trug sie hinaus, dann ging er zu seinem Teich und nahm ein Bad, um sich von etwaigen Läusen zu befreien. Bibbernd vor Kälte kehrte er zum Kamin zurück, zog eine alte Hose an, baute sich aus Segeltuch von der Sirius auf dem Fußboden ein Lager und legte sich hin. Zufrieden schloss er die Augen und schlief augenblicklich ein.
    John Lawrells Hahn weckte ihn vor dem Morgengrauen. Das Feuer im Kamin glomm noch unter der Asche. Richard blies in die Glut, legte Holz nach und inspizierte seinen Speiseschrank, der nicht besser bestückt war als jeder andere auf Norfolk Island. Ein
Großteil der Lebensmittel war noch nicht an Land gebracht worden. Wie üblich hatte man zuerst den Teil der Fracht gelöscht, der in Richards Augen am entbehrlichsten war, Rum und Kleidung. Aber er hatte noch einen Laib Maisbrot, dem der Bäcker gerade so viel wertvolles Weizenmehl beigemischt hatte, dass es genießbar war, und der Garten lieferte Kohl, Blumenkohl, Kresse, dicke Bohnen und das ganze Jahr über Petersilie und Kopfsalat.
    Der Morgen dämmerte, die Sonne ging auf. Richard trat ans Bett und sah auf Kitty hinunter. Sie lag noch genauso da wie am Vorabend, und da sie die Lider geschlossen hatte, konnte er sie ruhiger betrachten, als wenn er in William Henrys Augen geblickt hätte. Sie hatte dünne und glatte blonde Haare, hübsche Brauen und Wimpern, eine helle Haut, die nur ein schwaches Rot überglänzte, was vermuten ließ, dass sie nicht oft an Deck gegangen war, eine recht große und knubbelige Nase, einen süßen, rosigen Mund, der ihn an Mary erinnerte, ein vorspringendes Kinn über einem langen, schmalen Hals und zierliche

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