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Insel der Verlorenen Roman

Titel: Insel der Verlorenen Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Colleen McCullough
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es weder Arbeitshäuser noch Fabriken.«
    Kittys Hand, die eben nach einem Stück Brot greifen wollte, fiel schlaff in ihren Schoß. Ihre Augen weiteten sich. »Natürlich«, sagte sie langsam. »Aber natürlich. Wie konnte ich nur so blöd
sein! Am anderen Ende der Welt gibt es keine Arbeitshäuser und keine Fabriken. Und keine Herrenwesten zum Besticken…Das musste ich nämlich im Arbeitshaus in Canterbury tun. Wollen Sie sagen, dass man uns als Ehefrauen für die Sträflinge hierher geschickt hat?«
    Richard kniff die Lippen zusammen. »Sagen wir, um den Sträflingen das Leben etwas annehmlicher zu gestalten. Das kommt der Sache näher. Ich behaupte nicht, die offiziellen Gründe zu kennen. Ich weiß nur, dass man sehr viele Männer hierher gebracht hat, die sonst vielleicht zu einer öffentlichen Gefahr geworden wären. In England hat es Meutereien gegeben. Männer, die nichts zu verlieren haben, sind aufs Land geflüchtet. Wenn sie hier, am anderen Ende der Welt, rebellieren oder flüchten, kann das England egal sein. Hier stellen sie keine Bedrohung dar. Die einzigen Menschen, die es zu schützen gilt, sind die Wärter und ihre Familien.« Er hielt inne und sah ihr in die Augen. »Ohne Frauen sinken Männer auf die Stufe von Tieren herab. Deshalb sind Frauen bei diesem Experiment unverzichtbar, und ich für mein Teil bin davon überzeugt, dass der Sinn dieses Experiments darin besteht, das andere Ende der Welt in ein riesiges englisches Gefängnis zu verwandeln.«
    Kitty hatte ihm mit gerunzelter Stirn gelauscht und versuchte, das Gehörte zu verdauen. Wenn sie ihn richtig verstand, hatte man sie nur hierher gebracht, um die Männer zu bändigen. »Wir sind die Huren der Männer«, sagte sie. »Haben uns die Seeleute der Lady Juliana deshalb als Huren beschimpft? Und nicht weil sie glaubten, wir seien wegen Prostitution verurteilt worden? Das hätte mich auch gewundert. Die meisten von uns sind nämlich wegen Diebstahls verurteilt worden. Und Prostitution ist kein Verbrechen. Sagen jedenfalls ein paar von den Frauen. Sie wurden immer böse, wenn die Seeleute sie Huren nannten. Aber die Männer meinten es anders. Sie meinten, dass wir Huren werden, habe ich Recht?«
    Richard verdrehte die Augen und seufzte. »Nun ja«, sagte er schließlich und lächelte müde, »würde meine Tochter noch leben, wäre sie ungefähr in deinem Alter. Und genauso unschuldig - als guter Vater hätte ich dafür gesorgt. Aus was für Verhältnissen kommst du, Kitty? Was waren deine Eltern?«

    »Mein Vater war Gutspächter in Eltham«, sagte sie stolz mit erhobenem Kinn. »Meine Mutter starb, als ich zwei war, und mein Vater stellte eine Frau ein, die sich um mich kümmerte. Er starb, als ich fünf war. Da er keinen Erben hatte, fiel die Farm an den Gutsherrn zurück. Ich kam in die Obhut der Gemeinde, und die schickte mich nach Canterbury.«
    »Warst du das einzige Kind?«
    »Ja. Wäre Papa nicht gestorben, hätte ich lesen und schreiben gelernt und später wohl einen Farmer geheiratet.«
    »Stattdessen bist du ins Armenhaus gekommen und hast nie lesen und schreiben gelernt«, sagte Richard sanft.
    »So ist es. Ich hatte geschickte Finger und scharfe Augen, also musste ich sticken. Aber das kann man nicht ewig machen. Für Erwachsenenhände ist die Arbeit zu fein. Sie behielten mich, bis ich siebzehn war, doch dann begann ich plötzlich zu wachsen, und so schickten sie mich als Küchenhilfe nach St. Paul Deptford.«
    »Wie lange warst du dort?«
    »Bis zu meiner Verhaftung. Drei Monate.«
    »Wie kam es zu deiner Verhaftung?«
    »Das Gut hatte vier Dienstmädchen - Betty, Annie, Mary und mich. Mary und ich waren gleich alt, Annie war sechzehn, Betty fünfundzwanzig. Die Herrschaften wurden ganz plötzlich nach London gerufen, und die Köchin schloss sich in der Mansarde ein. Betty hatte Geburtstag, und so schlug sie vor, gemeinsam einen Bummel durch die Geschäfte zu machen. Ich war noch nie in einem Geschäft gewesen.«
    Oh, wie schrecklich! Richard saß da wie der Aufseher im Arbeitshaus und lauschte ohne erkennbare Regung ihrer albernen Geschichte. Und albern war sie allemal - zu albern, um sie dem Gericht in Kent zu erzählen. Aber das Gericht hatte sie ohnehin nicht hören wollen.
    »Bist du während deiner Zeit im Arbeitshaus nie ausgegangen?«
    »Nein, nie.«
    »Aber in St. Paul Deptford hattest du doch sicherlich hin und wieder einen freien Tag?«
    »Einmal in der Woche einen halben Tag, aber nie mit den anderen
Mädchen

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