Insel der Verlorenen Roman
Erste Offizier und einige Besatzungsmitglieder haben Leutnant Bligh in einem Beiboot ausgesetzt. Hier redet alles über die Meuterei auf der Bounty , nicht über die Französische Revolution.«
»Ich glaube, das Interesse an der Bounty hat vor allem damit zu tun, dass die Schiffsbesatzung die hübschen Mädchen von Tahiti den Brotfruchtbäumen vorzog. Dabei war doch die Beschaffung von Brotfruchtpflanzen der eigentliche Zweck der Reise, vermutlich,
weil man ein billiges Nahrungsmittel für die Sklaven in Westindien suchte.«
»Zweifellos. Was schreibt Jem sonst noch?«
»Nimm den Brief und lies selbst«, sagte Richard. »Obwohl es da noch eine Passage gibt, die es wert wäre, laut vorgelesen zu werden. Jem glaubt, Mr Pitt und das Parlament befürchten, der amerikanischen und Französischen könnte jetzt auch eine englische Revolution folgen. Deshalb ist ein Ort wie die Botany Bay für sie plötzlich so wichtig. In Irland brodelt es gewaltig, und auch die Waliser und die Schotten sind unzufrieden. Vielleicht setzt Pitt demnächst auch noch Rebellen und Demagogen auf die Deportationsliste.«
Von Mr Thistlethwaites privaten Erfolgen sagte Richard nichts. Jem, der Verfasser von Romanen für literarisch interessierte Damen, hatte in seinem Metier eine solche Kunstfertigkeit entwickelt, dass er pro Jahr zwei Romane schrieb. Das Geld floss reichlich. Jem besaß jetzt ein großes Haus in der Wimpole Street, beschäftigte zwölf Dienstboten, fuhr in einer vierspännigen Kutsche und hatte eine Herzogin zur Geliebten.
Als Stephen ging, nahm er Mr Thistlethwaites Brief mit. Kitty wusch das Geschirr ab, dann trat sie zu Richard.
»Jem muss ein sehr vornehmer Mann sein«, sagte sie.
»Jem? Vornehm?« Richard lachte. Er sah Jems stämmige Gestalt mit den blutunterlaufenen, blassblauen Augen vor sich - und die Sattelpistolen, deren Griffe aus den Taschen des schweren Mantels lugten. »Nein, Kitty, Jem ist ein Mann, der mit beiden Beinen fest auf dem Boden der Tatsachen steht. Er trinkt viel und war in seiner Bristoler Zeit einer der treuesten Gäste meines Vaters. Jetzt lebt er in London und hat ein Vermögen verdient. Er hat verhindert, dass ich an Bord der Ceres wahnsinnig wurde, und dafür werde ich ihm bis an mein Lebensende dankbar sein.«
»Dann bin ich das auch. Denn wenn du nicht gewesen wärst, Richard, ginge es mir jetzt viel schlechter.« Kitty hatte eigentlich etwas Nettes sagen wollen.
Richard sah sie traurig an. »Hast du mich denn überhaupt nicht gern?«
Sie sah ernst zu ihm auf. Ihre Augen waren nicht mehr die von William Henry, sondern ihre eigenen, aber sie bedeuteten ihm genauso viel, nein, mehr .
»Hast du mich denn überhaupt nicht gern, Kitty?«, wiederholte er.
»Aber doch, Richard. Ich hatte dich von Anfang an gern. Ich glaube nur nicht, dass es Liebe ist.«
»Du meinst, dass ich nicht das Zentrum deines Lebens bin.«
»Doch, das bist du. Ich habe ja kein anderes Leben.« Ihre Gesten, ihre Mimik und die Art, wie sie ihn ansah, drückten viel besser aus, was sie meinte, als ihre Worte. »Ich weiß, das klingt undankbar, aber ich bin nicht undankbar, bestimmt nicht. Manchmal frage ich mich nur, was aus mir geworden wäre, wenn ich nicht verurteilt und auf diese Insel gebracht worden wäre, so weit von der Heimat entfernt. Ob es nicht in England jemanden für mich gegeben hätte, den ich jetzt nie kennen lernen werde, jemanden, der meine wahre Liebe gewesen wäre.« Sie sah seine Miene und redete hastig weiter. »Ich bin hier sehr glücklich und ich arbeite gerne im Haus und im Garten. Und es ist wunderbar, schwanger zu sein. Nur…Ich wüsste zu gern, was ich versäumt habe!«
Was sollte er darauf antworten? »Du hast keine Sehnsucht nach Stephen mehr?«
»Nein.« Es klang entschieden. »Stephen hatte Recht, das war nur eine mädchenhafte Schwärmerei. Wenn ich ihn jetzt sehe, wundere ich mich über mich selbst.«
»Und was siehst du, wenn du mich ansiehst?«
Sie krümmte und wand sich wie ein Kind mit schlechtem Gewissen. Er kannte diese Zeichen und wünschte, er hätte nicht gefragt. Womöglich sah sie sich jetzt gezwungen zu lügen. Es war, als ob er ihre Gedanken lesen könnte. Er wusste genau, dass sie verzweifelt nach einer Antwort suchte, die ihn zufrieden stellte, ohne dass sie sich selbst preisgab. Geduldig, sogar leicht belustigt wartete er auf das Ergebnis. Echte Liebe war doch, den anderen trotz seiner Fehler und Schwächen mit aller Hingabe zu lieben. Die Liebe, wie Kitty
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