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Insel der Verlorenen Roman

Titel: Insel der Verlorenen Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Colleen McCullough
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heraus. Triumphierend stellte er ihn auf den Boden. »Ist das nicht ein kleines Wunder?«
    Richard, Dick und Willy starrten das Ding verständnislos an.
    »Bestimmt, Vetter James«, sagte Richard, »aber was ist es denn?«
    »Ein Filterstein«, erwiderte Vetter James stolz. »Der unten spitz zulaufende Teil aus Stein bildet, wie du siehst, eine Schale, die ungefähr drei Pint Wasser fasst. Das Wasser sickert durch den Stein und tropft in die Messingschale darunter. Ich weiß nicht, welche magischen Kräfte dem Stein innewohnen, aber das Wasser in der Auffangschale ist so rein und frisch wie das beste Quellwasser.«
    »Vetter James«, sagte Richard mit einem Lächeln, aus dem eine tiefe Zuneigung sprach. »Ich könnte dir vor Freude die Hände und die Füße küssen.«
    »Nicht notwendig, Richard.« Der Apotheker stand auf und klatschte sich den Staub von den Händen. Dann sagte er ernst: »Ich habe dir die Kiste heute gebracht, weil niemand mir sagen will, wann du nach Gloucester verlegt wirst. Da die nächste Sitzung des Geschworenengerichts nicht vor der Fastenzeit stattfindet, kann das noch dauern. Es kann aber auch schon morgen so weit sein. Vetter James, der Kirchenmann, lässt dir übrigens ausrichten, dass er dich besuchen will.«
    »Ich freue mich schon darauf, ihn zu sehen«, sagte Richard und stand auf. Dick hockte noch auf dem Fußboden und klaubte die abgeschnittenen Haare zusammen. »Vater, wasch dir die Hände mit Essig und Teeröl, wenn du heimkommst. Vorher darfst du dir nicht ins Gesicht fassen. Und bring mir bitte saubere Unterhosen und Seife!«
     
    Richard wurde nicht am folgenden Tag verlegt. Er und Willy blieben bis Anfang 1785 im Bristol Newgate. Das war einerseits ein
Segen - seine Familie konnte ihn mit allem Lebensnotwendigen versorgen -, andererseits ein Fluch - seine Familie bekam das ganze Elend mit, in das er geraten war.
    Auch Mag wollte Richard unbedingt besuchen. Doch als sie ihn mit geschorenem Haupt inmitten der zerlumpten Gestalten sah, die mehr tot als lebendig waren, wurde sie vor Schreck ohnmächtig.
    Es sollte noch schlimmer kommen. Nach Weihnachten erschien Vetter James, der Apotheker, allein. »Dein Vater hatte einen Schlaganfall, Richard.«
    Die Augen, mit denen Richard ihn ansah, waren nicht wieder zu erkennen. Nach dem Tod von William Henry hatten sie noch ab und zu humorvoll aufgeblitzt. Jetzt nicht mehr. Es war zwar noch Leben in ihnen, doch sie nahmen nur noch passiv wahr. »Wird er sterben, Vetter James?«
    »An diesem Schlaganfall nicht. Ich habe ihn auf eine strenge Diät gesetzt und hoffe, dass ich einen zweiten und dritten verhindern kann. Sein linker Arm und sein linkes Bein sind in Mitleidenschaft gezogen, doch kann er noch sprechen und klar denken. Er lässt dich grüßen, aber wir sind der Meinung, dass ein Besuch in Newgate ihm nicht gut täte.«
    »Was wird nun aus dem Cooper’s Arms? Es wird ihn umbringen, das Lokal aufgeben zu müssen!«
    »Das braucht er nicht. Dein Bruder hat seinen ältesten Sohn hingeschickt. Er soll dort Gastwirt lernen - ein tüchtiger Junge und nicht so geldgierig wie William. Ich glaube, der Junge ist froh, sein Elternhaus verlassen zu können. Du weißt ja, wie streng und herrschsüchtig Williams Frau ist.«
    »Ich könnte mir vorstellen, dass sie Will strengstens verboten hat, mich im Gefängnis zu besuchen. Sicher bedauert er, dass ihm nun keiner mehr kostenlos die Sägen schränkt.« Richard sagte es ohne Groll. »Und Mutter?«
    »Mag ist Mag. Ihre Antwort auf alles ist Arbeit.«
    Richard schwieg. Mit ausgestreckten Beinen saß er auf den Fliesen, Willy wie einen Schatten neben sich. Vetter James kämpfte mit den Tränen. Er versuchte sich Richard als Fremden vorzustellen -
was ihm in letzter Zeit gar nicht so schwer fiel. Wie war es möglich, dass Richard jetzt so viel besser aussah als früher? Oder war es ihm bisher nur nicht aufgefallen? Die kurz geschorenen Haare, die sich zu kräuseln versuchten, obwohl sie nicht mehr als einen halben Zoll lang waren, brachten den wohlgeformten Schädel und das ebenmäßige, faltenlose Gesicht mit den hervortretenden Backenknochen und der markanten Adlernase stärker zur Geltung. Wenn sich etwas verändert hatte, dann der Mund. Er wirkte trotz der sinnlichen Unterlippe jetzt härter und fester, weniger verträumt. Die schmalen schwarzen Brauen hatten schon immer dicht über den Augen gelegen, doch jetzt wirkten sie geradezu wie ein Teil der Augen, als seien sie eingraviert worden, um die

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