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Insel der Verlorenen Roman

Titel: Insel der Verlorenen Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Colleen McCullough
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setze euch doch nicht im Dunkeln an diesem verrufenen Ort ab«, erklärte er. »Ihr habt eure Reisekosten wie Ehrenmänner beglichen, und ihr tut mir wirklich Leid. Das wird jetzt für weiß Gott wie lange die letzte Nacht sein, in der ihr einen anständigen Schlafplatz und ein anständiges Essen im Magen habt. Ich kann nicht glauben, dass ihr Verbrecher seid. Ich wünsche euch viel Glück.«
     
    Am frühen Morgen des folgenden Tages rollte der Wagen über die Zugbrücke zum anderen Ufer des Severn und durch das Westtor
nach Gloucester hinein. Gloucester erinnerte in vielem an eine mittelalterliche Kleinstadt. Ein Großteil der alten Mauern, Gräben, Zugbrücken und Klöster stand noch. Die größeren Gebäude waren vierstöckige, schwarz-weiße Fachwerkhäuser. Einige Dächer waren mit Schiefer gedeckt, die meisten zu Richards Entsetzen allerdings noch mit Stroh. Richard hatte wie alle Leute aus Bristol Angst vor durch Stroh ausgelösten Feuersbrünsten. Er sah nicht allzu viel von dem Städtchen, da der Planwagen nur hinten offen war. Doch was er sah, bestätigte ihm, dass Gloucester im Vergleich zu Bristol ein Provinznest war.
    Der Wagen fuhr auf ein Tor in einer dicken alten Mauer zu. Richard und Willy wurden vom Wagen geholt und zusammen mit Tom, dem Hilfspolizisten, auf ein großes, offenbar bestelltes Feld geführt. Was dort angebaut wurde, würde sich erst im Frühjahr zeigen. Vor ihnen ragte die Burg von Gloucester auf, die gleichzeitig das Gefängnis der Stadt war, ein finsteres Gemäuer mit großen und kleinen Türmen und vergitterten Fenstern, umgeben von einer Mauer und einem Graben. Die Burg hatte zur Zeit Oliver Cromwells zum letzten Mal als Festung gedient und war seitdem stetig verfallen.
    Sie gingen nicht zum Eingang der Burg, sondern zu einem großen Steinhaus an der Außenmauer, in dem der Oberaufseher des Gefängnisses wohnte.
    Dort kam Richard der Verdacht, dass der Hilfspolizist ihn und Willy nicht deshalb von Bristol nach Gloucester begleitet hatte, um ihre Flucht zu verhindern, sondern um ihre Fesseln und Ketten wieder nach Bristol zurückzubringen. Denn Tom griff nach jedem Stück Eisen, das ihnen abgenommen wurde, wie eine Mutter nach ihrem Neugeborenen und verstaute es sofort in einem Sack. Endlich war alles geregelt und unterzeichnet, und er entfernte sich mit seinem Sack, um mit einer Kutsche nach Bristol zurückzukehren. Ein Wärter legte Richard und Willy ein neues Paar Fußeisen mit einer zwei Fuß langen Kette an - den Oberaufseher sahen sie nicht - und eskortierte sie zur Burg. Ihre kostbaren Kisten trugen sie vor sich her.
    Der kleine noch bewohnbare Teil der Burg war so überfüllt mit
Häftlingen, dass keiner die Beine ausstrecken konnte. Wer sich hinsetzte, musste die Knie unters Kinn ziehen. Die Gemeinschaftszelle maß genau zwölf auf zwölf Fuß und war mit ungefähr dreißig Männern und zehn Frauen belegt. Der Wärter, der sie hergebracht hatte, brüllte einen unverständlichen Befehl, woraufhin alle, die einen Platz zum Sitzen gefunden hatten, aufstanden. Dann marschierten die Häftlinge und Richard und der heulende Willy mit ihren Kisten im Gänsemarsch auf einen eisigen Hof, auf dem bereits zwanzig andere Männer und Frauen warteten.
    Es war Sonntag. Gleich würde Reverend Evans den Insassen des Gefängnisses von Gloucester die Botschaft Gottes verkünden. Die schwache Stimme des betagten Gefängnisgeistlichen wurde vom Wind übertönt, der durch den rechteckigen Hof pfiff, sodass seine Worte über Reue, Glaube und Hoffnung - oder was auch immer - nicht zu verstehen waren. Glücklicherweise betrachtete er eine zehnminütige Andacht und eine zwanzigminütige Predigt als ausreichende Gegenleistung für die vierzig Pfund, die er als Gefängnispfarrer im Jahr verdiente. Schließlich predigte er nicht nur sonntags, sondern auch mittwochs und freitags.
    Danach wurden sie in die Gemeinschaftszelle der Sträflinge zurückgescheucht, die viel kleiner war als die der Schuldner, obwohl es doppelt so viele Strafgefangene gab wie Schuldner. Richard schob einen Mithäftling beiseite, um seine Kiste abstellen zu können, und setzte sich darauf.
    »So schlimm wie heute ist es unter der Woche nicht«, sagte eine Stimme neben ihm. »Du bist ein stattlicher Mann!«
    Eine magere, sehnige Frau von ungefähr dreißig Jahren schaffte sich mit den Ellbogen Platz und ließ sich zu seinen Füßen nieder. Richard fiel auf, dass ihre Kleider zwar vielfach geflickt, aber einigermaßen sauber waren.

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