Insel der Versuchung
Hause auf ihrer wunderschönen Insel.
„Sag mir, was geschehen ist“, verlangte Thorne knapp, jetzt ganz geschäftlich, da sie allein waren.
„Vor fünf Wochen war Isabella auf der Rückreise von einem Besuch in Spanien, aber ihr Schiff ist nie in Kyrene eingetroffen. Aller Wahrscheinlichkeit nach brachten Piraten von der Barbarenküste es in ihre Gewalt und verkauften Isabella als Sklavin.“
Caro hörte selbst den Anflug von Panik in ihrer Stimme und erkannte an Thornes gerunzelter Stirn, dass er ihre Nachricht mit Sorge aufnahm. Es war immer gefährlich, über das Mittelmeer zu segeln. Nach dem Sieg über Napoleon stellte die französische Flotte zwar keine Gefahr mehr für Handelsschiffe dar. Aber seit Jahrhunderten bedrohten Korsaren von der Barbarenküste Nordafrikas die Wasserstraßen und nutzten die lukrative Einnahmequelle, Schiffe zu überfallen und deren Passagiere auf den Sklavenmärkten feilzubieten. Genau genommen hatte vor zehn Jahren sogar die amerikanische Kriegsmarine mit Tripolis gekämpft, weil das Königreich amerikanische Bürger versklavt hatte.
„Setz dich und fang von vorne an“, schlug er vor, als sie erregt auf- und abzugehen begann.
„Ich kann unmöglich sitzen. Ich habe an Bord des Schoners zwei Wochen lang nichts anderes getan, als zu sitzen. Ich wünschte, es würde nicht so verflixt lange dauern, nach London zu gelangen!“
„Es wird Isabella wenig nützen, wenn du den Teppich meiner Tante durchwetzt“, antwortete Thorne. „Hättest du gerne Sherry?“
„Ja ... danke.“
Sein sachlicher Ton wirkte beruhigend auf sie. Tief einatmend stellte sich Caro vor den Kamin und hielt ihre behandschuhten Hände zum Feuer hin, während Thorne zu dem Beistelltischchen ging und ihr ein Glas Sherry eingoss.
Als sie in die Flammen starrte, schossen ihr Erinnerungen durch den Kopf. Lady Isabella Wilde war ihre beste Freundin -eine wunderschöne spanische Adelige, die drei Ehemänner überlebt hatte und nun oft auf Reisen um den ganzen Erdball war. Sie führte ihr Leben nach eigenen Vorstellungen. Die abenteuerlustige Isabella war wie eine Mutter für sie gewesen, seitdem sie ihre eigene als junges Mädchen verloren hatte. Isabella war auch ihr Vorbild gewesen, was selbstständiges Denken anging, und hatte sie immer wieder ermutigt, ihre Träume zu verwirklichen.
Wie alle Wächter war Caro wild entschlossen, ihre Freundin aus der Gefangenschaft zu retten. Das hier war nicht nur eine persönliche Mission für sie. Als Tochter eines im Exil lebenden Spaniers war Isabella auf Kyrene vor vielen Jahren Zuflucht gewährt worden. Und die Gefangennahme von jemandem, der unter dem Schutz der Wächter stand, traf den Geheimbund bis ins Mark. Dessen Führer Sir Gawain Olwen betrachtete es als Ehrensache, dass sie eine Rettungsmission starteten, falls es notwendig werden würde. Caro war direkt nach London gekommen, um Thorne Sir Gawains Anweisungen zu überbringen. Thorne reichte ihr ein gefülltes Glas, dann setzte er sich aufs Sofa, während sie berichtete, was sie herausgefunden hatten, nachdem Isabella nicht heimgekehrt war - Fakten, die darauf hindeuteten, dass sie von Berberkorsaren gefangen genommen worden war.
„Wir haben nur wenig verlässliche Informationen. Als Isabellas Schiff nicht eintraf, haben wir Nachforschungen angestellt. Es hat keine Unwetter in der Woche gegeben oder irgendeinen Hinweis darauf, dass das Schiff gesunken ist. Und wir haben erfahren, dass ein Schiff, das unter algerischer Flagge segelte, in den betreffenden Gewässern gesichtet wurde.“
„Und seitdem habt ihr keine Nachrichten von Isabella erhalten? Keine Lösegeldforderungen?“
„Nein. Sir Gawain hat zwei Agenten nach Tripolis geschickt, nur für den Fall, dass unsere Erkenntnisse falsch waren, aber es ist wahrscheinlicher, dass man Isabella nach Algier verschleppt hat.“
„Und Sir Gawain möchte, dass ich direkt nach Algier fahre und sie suche?“
„Ja.“
„Zweifellos weiß er, wie schwierig es sein wird, sie dort aufzuspüren.“
Caro nickte. Sie hatte gehört, dass Algier eine große Stadt voller Menschen mit eng zusammengedrängten Häusern wie Kaninchenställe war. Und das Land selber, der osmanische Vasallenstaat Algerien, bestand hauptsächlich aus schroffen Berghängen und lebensfeindlicher Wüste.
Ohne an ihrem Sherry genippt zu haben, stellte Caro ihr Glas auf das Sims, um in ihr Retikül zu fassen. Sie holte ein dünnes Päckchen zusammengefalteter Papiere heraus und reichte sie
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