Insel der Versuchung
vorüber.
Und natürlich wäre sie lieber heute als morgen zu Hause gewesen, um Neuigkeiten über Isabella zu erfahren. Der Bau des Schoners war eigens von Sir Gawain in Auftrag gegeben worden und auf Geschwindigkeit ausgelegt, so dass er im Vergleich zu anderen Segelschiffen erstaunlich schnell war. Dennoch würde die Dauer der Reise ihre Geduld bei weitem übersteigen.
Als sie Gibraltar umrundeten und der graue Atlantik dem freundlichen, strahlenden Blau des Mittelmeeres wich, fühlte Caro sich sogleich wesentlich wohler in der vertrauteren Umgebung und dem wesentlich wärmeren Klima, doch ihre Stimmung vermochte das nicht so ganz zu heben. An klaren Tagen konnte sie im Süden die Barbarenküste ausmachen, wo Isabella vermutlich gefangen gehalten wurde. Und wenn sie daran dachte, dass Bella sich irgendwo in dem riesigen Gebiet befand, drohte die Verzweiflung sie zu überwältigen.
Überraschenderweise schien Max noch niedergedrückter als sie. Zu Beginn der zweiten Woche auf See hatte seine Rastlosigkeit merklich zugenommen. Und manchmal sah sie ihn nachts auf dem Deck mit der zornigen Unrast eines in einem Käfig gefangenen wilden Tieres auf und ab gehen. Er sah aus, als quälte ihn irgendetwas.
Die Sorge um ihn trieb sie eines Nachmittags, ihn anzusprechen, als er wieder an der Reling stand.
„Ich könnte dir einen Schlaftrunk geben“, bot sie an, „wenn du denkst, es würde dir helfen.“
Er drehte sich um und schaute sie grimmig an. „Warum meinst du, dass ich einen Schlaftrunk bräuchte?“
„Vielleicht liegt es an der Art und Weise, wie du ein Loch in Kapitän Biddicks Deck läufst?“ Sie lächelte, doch seine Miene wurde nur noch verschlossener.
„Ich hasse die Nachwirkungen von Laudanum.“
„Es gibt mehrere Kräuter, die nicht zu denselben üblen Träumen führen wie Laudanum.“
„Du brauchst mich nicht gesund zu machen, Engel.“
Seine knappe Erwiderung ärgerte Caro, doch sie wollte nicht einfach gehen, wenn ihn offensichtlich etwas quälte. „Verträgst du das Segeln nicht?“
Max zögerte eine Weile, dass sie sich zu fragen begann, ob er ihr überhaupt antworten würde, aber dann schüttelte er den Kopf. „Nein, aber diese Reise weckt Erinnerungen daran, wie ahnungslos ich in den Krieg gezogen bin. Obwohl die Transportschiffe, die uns nach Spanien brachten, weniger komfortabel waren als dieses Schiff.“
Caro hoffte, dass er weitersprechen würde. Doch er schwieg. „Nun...“ Sie legte ihm eine Hand auf den Arm und spürte seine Anspannung. „Wenn ich irgendwie helfen kann, dann musst du es nur sagen.“
Seine Kiefermuskeln arbeiteten, als müsse er sich seine Antwort verkneifen. Dann befreite er seinen Arm von ihren Fingern. „Mir geht es bestens.“
Da sie einsah, dass er ihr nicht mehr verraten würde, entfernte Caro sich. Doch sie konnte einfach nicht aufhören, an den freudlosen Ausdruck in Max’ blauen Augen zu denken, während sie sich fragte, welche düsteren Erinnerungen ihn belasteten.
... explodierende Erde ... der Schrei eines Pferdes ... fallen ... auf der nassen Erde aufschlagen... Schmerz in der Brust... erschossen?
Muss mich rühren ...im Schlamm versinken ... bemühen, aufzustehen ... vorne Philip, der sein Pferd wendet ...es tut entsetzlich weh ... kann nicht stehen ...
Philip kehrt um ... kommt zurück ... springt ab ...
„Philip ... Hölle, mach, dass du wegkommst ... rette dich selbst!“
Sein grimmig entschlossenes Lächeln ... „Du bist verdammt verrückt, wenn du denkst, ich würde dich im Stich lassen ..."
Philips Hand, die sich ihm entgegenstreckt ... Gewehrfeuersalven ... sein Kopf... sein Gesicht... das viele Blut.
Philip, der in die Knie geht.
Himmel, Philip, nein. Nein! Bitte, Gott, nein ...
„Max, wach auf. Es ist nur ein böser Traum. “
Ihre leise Stimme. Ihre sanfte Hand auf seiner Stirn ...
Schweißgebadet wachte Max auf. Es war wieder jener Albtraum, der ihm die Luft zum Atmen nahm.
Fieberhaft schaute er sich um, aber er konnte in der Dunkelheit nichts erkennen. Das rhythmische Heben und Senken des Schiffsrumpfes verriet ihm, wo er war. In seiner Kajüte an Bord des Schoners.
Er lehnte sich zurück.
Der Albtraum war in letzter Zeit wieder schlimmer geworden. Lebhafter, kräftezehrender. Er wusste immer, was ihn erwartete, doch er war unfähig, es aufzuhalten. Er konnte nur dagegen ankämpfen.
Er schloss die Augen, beschwor Caros Gesicht vor sich auf. Sie war sein Schutzengel. Sie konnte ihn mit nicht mehr als ihrer
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