Insel des Sturms
längsten Tag des Jahres blieb selbst bei Anbruch des Abends der Himmel hell und klar. Schmerzlich lebendige, leuchtende Blau- und Grüntöne schimmerten vor den Fenstern ihres Cottages, und die Luft war schwer von lieblichen Düften.
Bei der Sommersonnenwende triumphierte die Natur. Alles, was Jude registrierte, während sie beobachtete und lauschte und genoss, war die Musik in ihrem Wohnzimmer. Sanfte Klänge schwebten durch das Haus. In ihrem Cottage drängten sich Menschen, die tanzten, lachten und sich augenscheinlich amüsierten.
Der Triumph der Natur war, so dachte sie beglückt, nichts im Vergleich zu ihrem eigenen Hochgefühl.
Die Gäste hatten bereits mehr als die Hälfte ihres Schinkens verschlungen; er schien niemandem schlecht zu bekommen, und sie selbst hatte, obgleich sie vor lauter Aufregung kaum schlucken konnte, ein, zwei Bissen von dem Fleisch gekostet.
Männer und Frauen tanzten im Flur, in der Küche und sogar im Hof. Andere wiegten Babys oder saßen gemütlich bei einem Plausch zusammen. Zu Anfang war sie als gute Gastgeberin von Gruppe zu Gruppe gewandert, um sicher zu gehen, dass jeder aß und trank. Doch ganz offensichtlich wurde sie von niemandem gebraucht. Alle bedienten sich herzhaft an dem in der Küche errichteten Büfett und suchten sich ein Plätzchen auf den von irgendeiner cleveren Seele mit Hilfe von Sägeböcken und Brettern im Hof errichteten Holzbänken.
Kinder hopsten durch die Gegend oder saßen auf irgendwelchen Schößen. Babys verlangten nach Aufmerksamkeit, frischen Windeln oder Milch und wurden gut gelaunt versorgt. Mehr als die Hälfte ihrer Gäste hatte Jude noch nie gesehen.
Am Ende tat sie das, was sie sich bisher noch nie auf einem von ihr veranstalteten Fest genehmigt hatte – sie setzte sich hin und hatte ihren Spaß.
Eingezwängt zwischen Mollie und Kathy Duffy, lauschte sie beiläufig deren Unterhaltung und vergaß das auf dem Teller in ihrem Schoß liegende Stück selbst gebackenen Kuchen.
Shawn spielte auf der Fiedel eine beschwingte, flotte Melodie, die den verzweifelten Wunsch in ihr weckte, eine gute Tänzerin zu sein. Darcy, in dem geborgten roten Kleid noch strahlender als sonst, entlockte einer kleinen Flöte allerliebste Töne, und Aidan pumpte mit Schwung sehnsüchtige Akkorde aus einem kleinen Akkordeon. Immer wieder tauschten sie die Instrumente oder holten andere hervor. Trillerpfeifen, eine Trommel, eine kleine Harfe glitten von einer Hand zur nächsten, ohne dass man den Rhythmus unterbrach.
Am schönsten fand es Jude, wenn sie zu den Klängen der Instrumente auch noch sangen, und zwar mit einer derart innigen Harmonie, dass ihr das Herz wehtat.
Aidan sang vom jungen, für alle Zeit neunzehnjährigen Willie MacBride, und Jude dachte an Maudes verlorenen Johnny – es war ihr vollkommen egal, dass sie vor aller Augen weinte.
Dann gingen die herzergreifenden Lieder über in schwungvollere Melodien, und jedes Mal, wenn Aidan ihrem Blick begegnete oder sie mit dem für ihn typischen sinnlichen Lächeln bedachte, war sie selig wie ein verliebter Teenager.
Als Brenna sich ihr zu Füßen setzte und ihren Kopf gegen das Bein ihrer Mutter lehnte, hielt ihr Jude den Kuchenteller hin.
»Wenn er seine Musik macht, hat er eine Art«, murmelte Brenna versonnen, »die einen – beinahe – vergessen lassen kann, was für ein sturer Bock er für gewöhnlich ist.«
»Sie sind einfach wunderbar, könnten ihre Musik aufnehmen lassen. Auf der Bühne sollten sie stehen und nicht hier in einem Wohnzimmer.«
»Shawn spielt nur zu seinem Vergnügen. Er würde es nicht mal merken, träfe ihn der Ehrgeiz wie ein Hammer auf den Kopf.«
»Nicht jeder will so wie du und dein Vater immer alles auf einmal«, tadelte Mollie milde, strich Brenna jedoch gleichzeitig zärtlich übers Haar.
»Je mehr man tut, umso mehr schafft man.«
»Ah, du bist wirklich durch und durch Micks Tochter! Warum tanzt du nicht wie deine Schwestern, statt hier zu sitzen und zu grübeln? Himmel, Mädchen, du waschechte O’Toole!«
»Oh, etwas von deiner Familie habe ich auch in mir.« Brenna sprang auf die Beine und packte ihre Mutter bei der Hand. »Also komm schon, Ma, es sei denn, du fühlst dich zu alt und schwach.«
»Ich kann immer noch so lange tanzen, bis auch du keuchend zu Boden gehst.«
Unter allgemeinem Jubel begann Mollie mit einer Reihe schneller, komplizierter Schritte, und klatschend und pfeifend machten ihr die anderen Tänzer Platz.
»In ihrer Jugend hat
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