Insel des Sturms
Minute auf das Übelste beschimpfen und bereits in der nächsten lachend gemeinsam durch einen Pub walzen?
Die Gäste pfiffen, klatschten im Takt und trommelten mit den Füßen auf den alten Holzboden, als die beiden Tanzenden dicht genug an Jude vorbeischwangen, dass sie eine von ihren sich drehenden Körpern verursachte leichte Brise abbekam.
Als die Musik schließlich verklang, sanken Darcy und Shawn einander grinsend in die Arme, und nachdem er seine Schwester schmatzend auf den Mund geküsst hatte, drehte Shawn den Kopf und unterzog Jude einer gründlichen, doch zugleich freundlichen Musterung. »Nun, wer ist denn diese schöne Fremde, die sich plötzlich aus der Dunkelheit in unsere Hütte verirrt hat?«
»Jude Murray, die Verwandte der alten Maude«, erklärte Darcy ihm. »Dies ist mein Bruder Shawn, der, der unbedingt Ihrer professionellen Hilfe bedarf.«
»Ah, Brenna hat mir schon erzählt, sie hätte Sie getroffen, als Sie angekommen sind. Jude F. Murray aus Chicago.«
»Wofür steht das F?«, mischte sich Aidan ein.
Jude wandte sich um und merkte, dass ihr etwas schwindlig war. »Frances.«
»Sie hat Lady Gwen gesehen«, verkündete Shawn, und ehe Jude ihren Kopf auch nur wieder zurückdrehen konnte, waren die Gespräche sämtlicher Gäste des Wirtshauses verstummt.
»Ach ja?« Aidan trocknete sich die Hände, legte seinen Lappen auf die Seite und lehnte sich gegen den Tresen. »Tja, dann.«
Es gab eine erwartungsvolle Pause, die Jude verlegen zu füllen suchte. »Nein, ich dachte lediglich, ich hätte jemanden gesehen… es hat in Strömen geregnet.« Sie griff nach ihrem Glas, trank einen großen Schluck und betete, dass die Musik wieder einsetzte.
»Aidan hat Lady Gwen auf den Klippen spazieren gehen sehen.«
Jude starrte erst Shawn und dann wieder Aidan an. »Sie haben also einen Geist gesehen«, sagte sie, wobei sie jedes Wort betonte.
»Während sie über die Klippen wandert und auf die Rückkehr ihres Liebsten wartet, weint sie derart bittere Tränen, dass einem bereits dabei das Herz von innen heraus zu bluten beginnt.«
Ein Teil von ihr hätte am liebsten in alle Ewigkeit dem herrlichen Klang seiner Stimme gelauscht, trotzdem unterbrach sie ihn zweifelnd. »Sie glauben doch wohl nicht ernsthaft an Gespenster?«
Wieder zog er eine seiner wohl geformten Brauen hoch. »Weshalb sollte ich das nicht tun?«
»Weil… es natürlich keine gibt!«
Er lachte – ein volles, perlendes Geräusch – und löste dann das Rätsel ihres ständig vollen Glases, indem er ihr abermals nachschenkte. »Ich bin wirklich gespannt, ob Sie das auch noch sagen, wenn Sie erst mal einen Monat hier gelebt haben. Hat Ihre Oma Ihnen die Geschichte von Lady Gwen und Carrick, dem Feenprinzen, etwa nicht erzählt?«
»Nein. Das heißt, sie hat mir ein paar Kassetten besprochen und Briefe und Tagebücher mitgegeben, in denen es um Legenden und Mythen geht. Ich, ah … überlege, ob ich eine Dokumentation über irische Folklore und ihren Platz in der Psychologie der Kultur des Landes anfertige.«
»Klingt beeindruckend!« Selbst als er ihr Stirnrunzeln bemerkte, machte er sich nicht die Mühe zu verbergen, wie sehr ihn ihre Worte amüsierten. Er fand, dass sie ein hübscheres Mäulchen besaß als jede andere Frau. »Für so ein feines Vorhaben sind Sie bei uns genau am richtigen Ort.«
»Du solltest ihr von Lady Gwen erzählen«, forderte Darcy
ihren Bruder auf. »Und auch all die anderen Geschichten. Du kannst das besser als jeder andere von uns.«
»Das werde ich. Ein andermal. Falls es Sie interessiert, Jude Frances!«
Sie war beleidigt und, wie sie betrübt feststellte, obendrein etwas betrunken. So würdevoll wie möglich nickte sie. »Natürlich. Ich würde gerne etwas Lokalkolorit in meine Arbeit einfließen lassen. Machen wir also einen Termin aus – wann immer es Ihnen recht ist.«
Wieder verzog er seinen Mund zu einem langsamen, lässigen Lächeln. »Oh, tja, so förmlich sind wir hier in der Gegend für gewöhnlich nicht. Am besten komme ich mal vorbei, und wenn Sie gerade nichts zu tun haben, tische ich Ihnen ein paar der Storys auf, die ich kenne.«
»Na schön. Danke!« Sie öffnete ihre Handtasche und wollte gerade ihren Geldbeutel hervorziehen, als er ihre Hand ergriff.
»Der Wein geht auf Kosten des Hauses. Betrachten Sie ihn einfach als Willkommenstrunk.«
»Das ist sehr freundlich.« Wenn sie doch bloß eine Ahnung hätte, wie viel des Willkommenstrunks sie genau im Blut
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