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Insel des Sturms

Insel des Sturms

Titel: Insel des Sturms Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Roberts Nora
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eine ziemlich große Stadt. Mein Vetter Jack und ich sind zusammen aufgewachsen, aber dann ging er nach Amerika, um bei einem Onkel mütterlicherseits in dessen Fleischfabrik zu arbeiten. Inzwischen lebt er seit zehn Jahren dort und beschwert sich bitterlich über den scharfen Wind und die eisigen Winter – aber trotzdem macht er keine Anstalten zurückzukommen.«
    Dankend nahm er sein Glas von Aidan entgegen und legte ein paar Münzen auf die Bar. »Aidan, du warst doch auch mal in Chicago, oder nicht?«
    »Eigentlich bin ich nur durchgefahren. Der See ist wirklich beeindruckend, beinahe wie ein Meer. Der Wind, der vom Wasser herüberweht, schneidet einem in der Tat durch die Haut bis in die Knochen. Aber wenn ich mich recht entsinne, bekommt man dort Steaks serviert, die einem vor lauter
Dankbarkeit gegenüber dem lieben Gott für seine Erschaffung von Rindern die Tränen in die Augen treiben.«
    Während er sprach, arbeitete er beständig weiter, füllte weitere Gläser für Darcys Tablett, betätigte die Zapfhähne und öffnete eine Flasche amerikanisches Bier für einen Jungen, der aussah, als sollte er lieber noch an Milchshakes herumnuckeln.
    Die Musik wurde lauter und lebhafter. Als Darcy dieses Mal das Tablett vom Tresen nahm, sang sie mit einer Stimme, die Jude vor Bewunderung und Neid die Augen aufreißen ließ.
    Aber nicht nur die silbrige Klarheit ihrer Stimme stellte ein Wunder dar. Nein, es war auch die Unbekümmertheit, mit der sie einfach in der Öffentlichkeit zu singen begann. Sie sang ein Lied von einer alten Jungfer, die sterbend in einer Dachstube lag; deren Schicksal würde, wie Jude den Blicken sämtlicher anwesender männlicher Wesen, vom ungefähr zehnjährigen Jungen der Clooneys bis hin zu einem skelettartigen Alten am anderen Ende des Tresens, entnahm, Darcy Gallagher ganz sicher niemals zuteil.
    Die Leute stimmten in den Refrain des Liedes ein, und das Bier floss schneller als zuvor.
    Das erste Lied ging über in ein zweites, ohne dass sich der Rhythmus merklich änderte. Dieses Mal war Aidan derjenige, der vom Betrug der Frau mit dem schwarzen Samtband sang, und zwar mit einem schmeichelnden Bariton, bei dessen Klang Jude die Kinnlade herunterfiel. Seine Stimme war ebenso reich und wohlklingend wie die seiner Schwester.
    Während er sang, zapfte er ein Bier und zwinkerte ihr, als er es über den Tresen schob, verschwörerisch zu. Sie spürte, wie ihr die Hitze in die Wangen schoss – aus lauter Scham darüber, dass er sie beim Starren erwischt hatte –, doch sie hoffte, dass es ihm im Dämmerlicht des Schankraumes nicht zu sehr aufgefallen war.

    Betont lässig griff sie nach ihrem Glas, als säße sie regelmäßig in irgendwelchen Bars, in denen sämtliche Anwesenden sangen und Männer mit dem Aussehen von Dressmen ihr zuzwinkerten. Seltsamerweise war ihr Glas noch bis zum Rand gefüllt. Sie runzelte die Stirn, denn sie war sich sicher gewesen, dass sie bereits mindestens die Hälfte geleert hatte. Aber da Aidan hinter dem Tresen ein Stück weitergegangen war und sie weder seine Arbeit noch seinen Gesang unterbrechen wollte, zuckte sie einfach mit den Schultern und genoss den süßen Wein.
    Die Tür des Raumes, bei dem es sich, wie sie annahm, um die Küche handelte, öffnete sich, und sie war dankbar, dass niemand sie beobachtete – denn zweifellos quollen ihr die Augen aus dem Kopf. Der Mann, der durch die Tür trat, sah aus, als käme er geradewegs aus Hollywood – aus einem Film über keltische Ritter, die heldisch für ihr Königreich und Not leidende Burgfräulein eintraten.
    Sein langer, schmaler Körper passte hervorragend in seine abgewetzten Jeans und den dunklen Pullover, den er trug. Sein Haar war rabenschwarz und wogte mähnenartig auf seine Schultern. Seine verträumten, himmelblauen Augen blitzten humorvoll in die Runde, sein Mund war ebenso voll, kräftig und sinnlich wie der von Aidan Gallagher, und die Nase gerade krumm genug, um nicht allzu perfekt zu sein.
    Sie bemerkte die leichte Rötung seines rechten Ohrs und nahm an, dass es sich um Shawn Gallagher handelte, der sich tatsächlich nicht rechtzeitig genug vor dem Tellergeschoss geduckt hatte.
    Mit einem vollen Tablett in den Händen schlenderte er lässig durch den Raum. Dann packte er mit einer blitzschnellen Bewegung, die Jude den Atem stocken ließ, den Arm von seiner Schwester, drehte sie zu sich herum und begann mit ihr zu tanzen.

    Was für Menschen, dachte Jude, konnten einander in der einen

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