Insel des Sturms
Ordnung?« Außer sich vor Entsetzen rannte Jude zu Aidan hinüber und blickte dann auf die am Boden liegende Gestalt von der Größe eines gekenterten Ozeanriesen. »Sie bluten an der Lippe. Tut es weh? Das Ganze ist einfach grauenvoll.« Verzweifelt suchte sie nach einem Taschentuch.
Aidan war so wütend, dass er ihr beinahe erklärt hätte, seine blutende Lippe wäre ebenso sehr ihre Schuld wie die des betrunkenen Jack; aber sie war leider unwiderstehlich und tupfte obendrein bereits mit ihrem Taschentuch an seiner aufgeplatzten Unterlippe herum, dass er unwillkürlich lächelte.
Was derart höllisch wehtat, dass er vor Schmerz zusammenfuhr.
»Oh, was für ein Schlamassel! Wir müssen die Polizei rufen.«
»Warum?«
»Damit sie ihn verhaftet. Weil er Sie angegriffen hat.«
Aidan starrte sie entgeistert an. »Weshalb, in aller Welt, sollte ich einen meiner ältesten Freunde verhaften lassen, nur weil er mir eins aufs Maul gegeben hat?«
»Freund?«
»Sicher. Er betäubt sein gebrochenes Herz mit ein paar Gläsern Whiskey, was zwar idiotisch, aber trotzdem vollkommen normal ist. Das Mädchen, von dem er dachte, dass es ihn liebte, ist vor zwei Wochen mit einem Kerl aus Dublin durchgebrannt, sodass er sein Elend im Alkohol ertränkt. Wenn er zu viel intus hat, wird er ein bisschen aggressiv, aber er meint es natürlich nicht böse.«
»Er hat Sie mitten ins Gesicht geschlagen.« Wenn sie es langsam und deutlich sagte, verstünde er vielleicht die Bedeutung ihrer Worte. »Und sagte, dass er Ihnen die Nase brechen will.«
»Nur, weil er das schon so oft versucht hat … aber bisher jedes Mal ohne Erfolg. Morgen früh wird es ihm Leid tun – beinahe ebenso Leid wie die Tatsache, dass sein dicker Schädel nicht einfach von seinen Schultern fällt, damit die liebe Seele Ruhe hat.«
Wieder lächelte Aidan, wenn auch etwas zögernd. »Könnte es sein, dass Sie sich Sorgen um mich gemacht haben?«
»Was ich ganz offensichtlich nicht hätte tun sollen!« Sie ballte das blutige Taschentuch in ihrer Faust. »Denn es scheint Ihnen ja zu gefallen, sich mit Ihren Freunden auf der Straße zu prügeln.«
»Früher einmal habe ich mich leider mit Fremden geprügelt, aber seit meinen reiferen Jahren ziehe ich Prügeleien mit Freunden vor.« Wie er es schon den ganzen Abend gewollt hatte, streckte er die Hand aus und spielte mit einer Strähne ihres Haars. »Aber ich danke Ihnen dafür, dass Sie sich um mich gesorgt haben.«
Er trat einen Schritt vor und sie einen zurück.
Worauf er müde seufzte. »Eines Tages werden Sie nicht mehr so viel Platz haben, mir auszuweichen. Und ich werde nicht den armen, betrunkenen Jack zu meinen Füßen liegen haben, um den ich mich kümmern muss.«
Er beugte sich hinunter, zog den halb bewusstlosen Riesen vom Boden und warf ihn sich lässig über die Schulter.
»Bist du das, Aidan?«
»Ja, Jack.«
»Habe ich dir die Nase gebrochen?«
»Nein, aber meine Lippe blutet.«
»Verdammt, da hattest du mal wieder das typische Gallagher-Glück.«
»Hüte deine Zunge, wir befinden uns in Gegenwart einer Dame.«
»Oh, Verzeihung!«
»Sie benehmen sich beide vollkommen lächerlich«, erklärte Jude, wandte sich ab und marschierte entschlossen zu ihrem Wagen.
»Jude? Schätzchen?« Aidan grinste und zischte, als die Wunde an seiner Lippe wieder aufklaffte. »Wir sehen uns dann morgen. Sagen wir, gegen halb eins.« Als sie wortlos weiterging und mit einem bitterbösen Blick in seine Richtung ihren Wagen bestieg, lachte er leise auf.
»Ist sie jetzt weg?« Jack hob mühsam den Kopf.
»Gerade fährt sie davon. Aber nicht sehr weit«, murmelte Aidan, als sie im vorgeschriebenen Tempo die Straße hinunterfuhr. »Nein, sie fährt nicht weit weg!«
Männer waren Affen! Daran bestand kein Zweifel. Jude schüttelte den Kopf und trommelte missbilligend mit den Fingern auf das Lenkrad, als sie zu dem kleinen Cottage auf dem Feenhügel fuhr. Sich betrunken auf der Straße zu prügeln war kein amüsanter Zeitvertreib, und jeder, der das dachte, bedurfte dringend einer Therapie.
Himmel, er hatte ihr das Gefühl vermittelt, ein Volltrottel zu sein. Hatte herablassend gegrinst, während sie ängstlich das Blut von seiner Lippe tupfte. Nein nicht herablassend, sondern nachsichtig, dachte sie jetzt – wie der große, starke Held gegenüber dem närrischen hysterischen Weibchen.
Und schlimmer noch: Sie hatte sich tatsächlich närrisch und hysterisch gefühlt. Als Aidan diesen Giganten einfach
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