Insel des Sturms
Arbeit zuwandte.
Sie blieb tatsächlich eine Weile. Da sie es für höflich hielt, trank sie auf Menschen, deren Namen sie nie zuvor gehört hatte, und weil sie guter Dinge war, unterhielt sie sich ausführlich mit den Rileys über ihre Verwandten in den Staaten und über ihre eigenen Besuche im angeblich gelobten Land – obgleich sie die Enttäuschung der beiden bemerkte, als sie eingestand, nie in Wyoming gewesen und somit auch nie einem echten Cowboy begegnet zu sein.
Genüsslich lauschte sie der Musik, denn sie war einfach herrlich. Vertraute und auch fremde, anregende und traurige Melodien schwebten durch und über das Gedränge. Sie summte leise mit, wenn sie ein Lied erkannte, und lächelte, als der alte Mr. Riley ebenfalls seine dünne Stimme erhob.
»Ich hatte immer eine Schwäche für Ihre Cousine Maude«, erklärte Mr. Riley jetzt. »Aber für sie gab es einzig Johnny Magee, Gott sei seiner Seele gnädig!« Er stieß einen tiefen Seufzer aus und sprach erneut seinem Guinness zu. »Und als ich eines Tages wieder einmal, den Hut in den Händen, vor ihrer Tür stand, hat sie erklärt, ich würde noch vor Ende des Jahres ein Mädchen mit blonden Haaren und grauen Augen heiraten.«
In Erinnerung an eine längst vergangene Zeit lächelte er. Jude beugte sich näher zu ihm hinüber, damit sie seine Worte
über der donnernden Musik besser verstand. »Und noch vor Ablauf eines Monats habe ich meine Lizzie kennen gelernt, mit ihrem blonden Haar und ihren grauen Augen. Wir haben im Juni geheiratet und waren beinahe fünfzig Jahre zusammen, ehe der liebe Gott sie zu sich nahm.«
»Das ist wunderbar!«
»Maude – sie wusste viele Dinge.« Seine trüben Augen suchten ihren Blick. »Die guten Geister haben ihr oft etwas ins Ohr geflüstert.«
»Ach ja?«, fragte Jude amüsiert.
»Allerdings, und da Sie eine Blutsverwandte von ihr sind, kommen die Geister vielleicht auch zu Ihnen. Dann müssen Sie ihnen gut zuhören.«
»Versprochen!«
Eine Zeit lang nippten sie an ihren Gläsern und lauschten der Musik. Dann verfolgte Jude mit Tränen der Rührung in den Augen, wie Darcy ihren Arm um die knochigen Schultern des alten Mannes legte und mit ihm ein Duett über endlose Liebe und den Verlust des Geliebten anstimmte.
Als sie sah, dass Brenna hinter dem Tresen Whiskey eingoss und Biergläser unter den Zapfhahn stellte, verzog sie den Mund zu einem Lächeln. Nun, da sie einmal nicht die alte Mütze auf dem Kopf hatte, fielen ihr die dichten, roten Locken in einer wilden Woge ums Gesicht.
»Ich wusste gar nicht, dass Sie hier arbeiten.«
»Oh, ich helfe nur hin und wieder etwas aus. Was trinken Sie, Jude?«
»Chardonnay – aber ich sollte wirklich …«
Doch Brenna hatte ihr bereits den Rücken zugewandt, und ehe sie es sich versah, stand die junge Frau schon wieder vor ihr und hatte ihr nachgeschenkt. »An den Wochenenden ist im Gallagher’s für gewöhnlich der Teufel los«, fuhr Brenna fröhlich fort. »Und auch während der Sommersaison
arbeite ich manchmal mit. Die Musik heute Abend ist wirklich nicht übel, was sagen Sie dazu?«
»Ja – fantastisch.«
»Und wie geht es Ihnen, mein lieber Mr. Riley?«
»Alles bestens, schöne Brenna! Wann werden Sie mich nun endlich heiraten und meinem Liebesleid ein Ende bereiten?«
»Im Wonnemonat Mai!« Während des Gesprächs tauschte sie ein leeres gegen ein volles Guinnessglas. »Hüten Sie sich vor diesem Schwerenöter, Jude, sonst bricht er Ihnen sicher bald das Herz!«
»Übernimmst du mal das andere Ende, Brenna?« Aidan glitt hinter die Freundin und zupfte an ihrem leuchtend roten Haar. »Ich würde lieber hier arbeiten, damit ich ein wenig mit Jude flirten kann.«
»Ah, noch so ein Schwerenöter! Der Pub ist voll von solchen Kerlen, Jude. Passen Sie bloß auf!«
»Sie ist wirklich ein nettes Ding«, erklärte Mr. Riley und Aidan zwinkerte vergnügt.
»Welche der beiden meinen Sie, Mr. Riley?«
»Allesamt.« Mr. Riley lachte pfeifend und schlug mit seiner dürren Hand vor Freude auf den Tresen. »In meinem ganzen Leben habe ich nicht eine Frau gesehen, die nicht niedlich genug gewesen wäre, um sie in die Wange zu kneifen. Aber unsere junge Amerikanerin hier hat die Augen einer Hexe. Sieh dich vor, Aidan, sonst belegt sie dich mit ihrem Bann!«
»Womöglich hat sie das bereits getan.« Aidan räumte leere Gläser von der Theke in die Spüle und stellte frische unter die Zapfhähne. »Waren Sie vielleicht schon einmal um Mitternacht draußen auf
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