Insel des Todes
»Sieht aus, als hätten Sie da eine große Eroberung gemacht, Danny .«
»Behalten Sie sie«, versetzte
ich hastig. »Mir liegt nichts an ihr und schon gar nichts an der Verantwortung .«
»Komisch!« Seine Stimme klang sehnsüchtig,
beinahe so, als hätte er Heimweh. »Kurz vor dem Essen habe ich mich dabei
ertappt, daß ich mir vorstellte, wie wohl die letzten vierzig Nächte des Jahres
mit der kleinen Südamerikanerin ausfallen würden, die ich in Greenwich Village aufgegabelt habe. Glauben Sie vielleicht, daß ich
mein Zurück-zur-Natur-Stadium schon wieder hinter mir habe ?«
»Vielleicht hat die kleine
Primitive ihr Ambrose-Norman-Stadium inzwischen hinter sich ?« meinte ich.
»Wenn mich die Großzügigkeit
packt, schenke ich sie Ihnen, Boyd .«
»Ich hab’ mir schon gedacht,
daß Sie zu den Leuten gehören, die ihre Probleme auf andere abwälzen, mein
Freund«, versetzte ich. »Aber auf mich nicht. Bestimmt nicht .«
Er blickte einen Moment
unbehaglich zur Tür und dämpfte dann seine Stimme zu einem Flüstern.
»Ich könnte Ihnen auch noch
etwas anderes bieten: einen guten Rat nämlich .«
»Ich höre .«
»Wenn Sie heute
nacht gut schlafen wollen, dann würde ich Ihnen empfehlen, in die Stadt
zu fahren und sich dort ein Hotelzimmer zu nehmen .«
»Machen Sie sich meinetwegen
Sorgen — oder Sonjas wegen ?« Ich grinste ihn an.
»Ihretwegen, Danny. Ein ganz
kleines bißchen.«
»Meinen Sie, mir könnte etwas
Ernstes zustoßen, wenn ich heute hier übernachte ?«
Er zuckte mit den Schultern.
»Ich bin kein Hellseher. Aber nach dem, was Sie heute abend produziert haben... Mein Lieber, Sie haben
ihnen allen die Masken von den Gesichtern gerissen und ihr wahres Wesen
entblößt! Also, ich möchte meinen, daß man sie nicht in Versuchung führen
sollte .« Er schloß einen Moment die Augen. »Ich sehe
immer noch Larry vor mir, wie er die Zigarre austrat .«
»Danke für den wohlgemeinten
Rat«, sagte ich. »Aber ich bleibe hier .«
»Ich kann kein Blut sehen«,
beschwerte er sich. »Warum hören Sie nicht auf einen verdammten Feigling? Seien
Sie doch vernünftig .«
»Ich muß morgen früh raus, weil
ich mir ja mal die frische Seebrise um die Nase wehen lassen will«, erklärte
ich.
»Das ist auch so eine Sache !« Der Klang seiner Stimme war jämmerlich. »Was frißt
eigentlich an Ihnen? Eine drängende Todessehnsucht, oder vielleicht noch
Schlimmeres?«
»Ich habe keine Ruhe, bevor ich
nicht weiß, wie Leila Gilbert ums Leben kam, Ambrose«, versetzte ich ruhig.
»Ich habe sie nur einmal gesehen, aber wenn tatsächlich jemand sie ermordet
hat, so war das eine gotteslästerliche Vergeudung weiblicher Talente, und das
paßt mir nicht .«
»Na schön, tun Sie, was Sie
nicht lassen können. Sterben Sie den Heldentod«, gab er trübsinnig zurück. »Mir
soll’s egal sein .«
Als ich ihn verließ, stand er
noch immer mit abwesendem Blick an der gleichen Stelle. Vielleicht stellte er
sich gerade vor, wie es wirken mochte, wenn sich Sonja im Stork Club nach dem Abendessen die Finger leckte.
Als ich an der offenen Tür zum
Wohnzimmer vorbeischritt, spähte ich hinein und sah Felix und Larry in ernster
Unterhaltung vertieft an der Bar hocken.
Die Schlafzimmer befanden sich
alle im hinteren Teil des Hauses. Meines lag am Ende des Flurs. Ich wußte, wer
in den einzelnen Räumen schlief, deshalb bereitete es mir keine Schwierigkeit,
die richtige Tür zu finden.
Sie öffnete sich beinahe auf
der Stelle, und Romneys tief gebräuntes Gesicht blickte mir entgegen.
»Haben Sie fünf Minuten Zeit,
alter Junge ?« fragte ich.
»Aber höchstens«, erwiderte er.
»Ich habe nachgerade genug von Ihnen, Boyd .« Er trat
zurück und zog die Tür weiter auf, um mich eintreten zu lassen. Dann schloß er
sie hinter mir.
»Um halb acht morgen früh also ?« fragte ich.
»Halb acht — oh, wegen der
Bootsfahrt, die wir geplant hatten ?« Er schüttelte den
Kopf. »Der Gedanke, den ganzen Tag in Ihrer Gesellschaft verbringen zu müssen,
Boyd, behagt mir nicht. Die Sache ist abgeblasen .«
»Haben Sie etwa Angst, daß ich
etwas feststellen könnte, was nicht für meine Augen gedacht ist ?«
»Meinetwegen können Sie die
nächsten zwei Monate damit zubringen, um das Riff herumzusegeln«, versetzte er
abgehackt. »Nur fordern Sie mich nicht auf, Sie zu begleiten .«
»Sie sind schließlich der
Seemann«, meinte ich sanft.
»Sie können sich jederzeit ein
anderes Boot mieten — und jemand, der es führt
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