Insel hinter dem Regenbogen (German Edition)
würde.
Wanda würde sich auch mit ihr über Nebensächlichkeiten unterhalten, aber währenddessen würde sie Janya die Dinge erklären, die sie wissen musste. Trotz der Unannehmlichkeiten, die es zwischen ihnen gegeben hatte, glaubte Janya, dass sie Wanda in dieser Sache vertrauen konnte. Wenn man jemandem das Fahren beibringen wollte, konnte es nicht schaden, energisch zu sein.
Sie bereitete sich gerade auf den Fahrunterricht vor, als Wanda an die Tür klopfte, sie öffnete und den Kopf hineinsteckte. „Ich kann auch in einer Viertelstunde noch mal wiederkommen, wenn du noch nicht so weit bist.“
Janya band sich den ersten Schuh zu. „Nein, komm ruhig rein, bitte. Dann habe ich wenigstens keine Zeit mehr, mir länger Sorgen zu machen.“
„Worüber machst du dir denn Sorgen? Du bist dein ganzes Leben Auto gefahren …“ Sie runzelte die Stirn. „Oder vielleicht auch nicht …“
„Als ich das letzte Mal auf einem Elefanten in den Dschungel geritten bin, habe ich festgestellt, dass mir die Höhe doch nicht so zusagt.“
Wanda verstand den Witz und lächelte. „Tja, ich kann nichts dafür, dass ich noch nie in Indien war, Janya. Wir sind nicht alle an interessanten Orten geboren worden.“
„Es gibt bei uns Elefanten und Kamele. Und Züge, Busse, Autos, Rikschas, Tuktuks und Füße.“
„Tuktuks?“
„Ein motorisiertes Fahrzeug. Mit drei Rädern. Sehr unsicher.“
„Vermisst du das alles?“
Noch vor wenigen Wochen hätte diese Frage Janya Tränen in die Augen getrieben. Jetzt dachte sie darüber nach. Das Land und die Menschen vermisste sie schon. Die Gebräuche, die Kultur, die Sehenswürdigkeiten, die Gerüche. Ja. Ihre Eltern? Das stand auf einem anderen Blatt. Das waren schließlich die Menschen, die sich entschlossen hatten, sie nicht zu verteidigen und zu beschützen.
„Wenn ich zu viel Zeit damit verbringe, Indien zu vermissen, habe ich zu wenig Zeit, um zu lernen, die USA zu mögen.“ Janya erhob sich zögerlich.
„Für dich ist es viel schwieriger als für mich, so viel steht fest. Irgendwann fahren wir mal nach Miami, und ich zeige dir meine Lieblingsplätze.“
Janya wusste, dass es keine leere Versprechung war. Irgendwann, als sie vermutlich nicht richtig aufgepasst hatte, hatte sich etwas verändert: Sie war aus der Rolle der schillernden Nachbarin, die man aus der Ferne beobachtete und der man nicht trauen durfte, in die Rolle der schillernden Nachbarin und Freundin geschlüpft. Wanda erinnerte sie an die Frauen, die sie in Mumbai gekannt hatte. Es waren Freundinnen ihrer Mutter gewesen, die das, was ihnen anvertraut war, mit grimmiger Inbrunst beschützt hatten. Bei diesem Gedanken fühlte sie sich in diesem Land schon ein bisschen mehr zu Hause.
„Und eines Tages werde ich dir Indien zeigen“, sagte sie. „Das wird eine absolute Traumreise.“
„Können wir uns auch das Tadsch Mahal anschauen?“
„Das wird unser erster Halt.“
„Wahrscheinlich wird es etwas schwierig, weil es ein so romantisches Reiseziel ist und ich dann vermutlich schon geschieden sein werde.“
„Ich habe heute Morgen gesehen, wie dein Ehemann mit Chase draußen war.“
„Ich bin mir nicht sicher, was in ihn gefahren ist. Er hat mir auch das Frühstück gemacht.“
„Das sind doch Geschenke, über die man sich freuen sollte.“
Wanda schnalzte mit der Zunge, und Janya wusste nicht genau, was das in Florida bedeutete. Sie schwieg lieber.
Wanda ging durch das Zimmer und sah sich um. „Mir gefällt es, wie du den Raum gestaltet hast. Sind diese Farben bei euch Tradition?“
Janya hatte das kleine Zimmer in Farben gestrichen, die sie an zu Hause erinnerten. Sattes Gold. Cremiges Türkis. Ihr Schlafzimmer war in dem gleichen Dunkelrot gestrichen wie die puja, der Gebetsraum. Sie hatte Rishi gebeten, etwas mehr von der Farbe zu kaufen. An den Wänden hingen Batiken mit besonderen Mustern ihres Volkes.
„Ich mag die Farben einfach“, sagte sie.
Wanda blieb vor dem Tisch neben dem Sofa stehen. Dann nahm sie die Pastellzeichnung, die Janya von Olivia gemacht hatte, und starrte das Bild an. „Janya, wer hat das gemalt?“
Janya bedauerte, dass sie das Bild nicht weggelegt hatte. Heute Morgen hatte sie daran weitergearbeitet, um sich zu beruhigen. Die Skizze, die sie vor fast zwei Wochen mit Kohlestiften gemacht hatte, hatte ihr als Vorlage für die Pastellzeichnung gedient. Sie war so weit ganz zufrieden.
„Ich war das. Aber ich bin noch nicht fertig.“
Wanda blickte sie an.
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