Insel hinter dem Regenbogen (German Edition)
müssen. Hätte er das getan, wenn er nicht ihr Wohl im Auge hätte?“
„Atlanta?“, wiederholte Janya. „Er wollte mit seiner Familie so weit wegziehen?“
„Er sagte, dass er es nach Karens Tod nicht habe tun können. Ich nehme an, ihm war bewusst, wie schwer es für Alice gewesen wäre, wenn er mit Olivia weggezogen wäre – auch wenn Alice keine Unterstützung gebraucht hätte.“
„Und das ist eigenartig“, sagte Janya. „Denn Olivia hat mir erzählt, dass ihre Mutter ein neues Haus für sie gefunden habe. Ihr Vater wusste offenbar nichts davon. Sie sagte mir, in welchen Farben sie ihr Zimmer habe streichen wollen und dass das Haus ein Geheimnis gewesen sei.“
„Wo?“
„Ich bin mir nicht sicher. Aber es war bestimmt nicht so weit weg wie Atlanta. Sie hat erzählt, dass sie an einem Tag dorthin gefahren seien, um mit den Malerarbeiten anzufangen. An dem neuen Wohnort hätte sie in eine andere Schule gehen müssen. Das Haus, das geheime Haus, war anscheinend nicht hier in der Stadt.“
„Na ja, sie hätten nach Atlanta fahren können – obwohl es für ein paar Schichten Farbe in der Tat eine lange Fahrt ist“, sagte Wanda. „Und wenn es so war, warum hat sie es nicht erzählt? Olivia ist alt genug, um sich an so etwas zu erinnern.“
„Das Haus hatte vier Schlafzimmer, und eines davon wollte Olivias Mutter als Arbeitszimmer benutzen.“ Janya legte einen Finger an ihre Nasenspitze, als würde sie nachdenken. „Und Olivia hat davon gesprochen, dass ihre Eltern sich gestritten hätten.“
Einen Moment lang schwiegen sie. „ Vier Schlafzimmer?“, hakte Tracy nach. „Eines für Karen und Lee, eines für Olivia, eines als Büro. Und für wen sollte das vierte Zimmer sein?“
„Ein Gästezimmer?“, schlug Wanda vor. „Das gibt es oft.“
Janya schüttelte den Kopf. „Nein, sie meinte, es gäbe ein Zimmer für jeden und das letzte Zimmer wäre das Büro ihrer Mutter.“
„Alice“, sagte Tracy. „Sie wollte Alice mitnehmen. Deshalb hat es Karen auch nichts ausgemacht, dass der Mietvertrag ohne Kündigungsfrist war. Wenn meine Vermutung stimmt, war diese Kurzfristigkeit sogar ein Plus. Vielleicht haben sie Alices Haus verkauft und sie dann nur so lange hier untergebracht, bis Karen ein Haus für sie alle gefunden hätte.“
„Natürlich lautet die Frage aller Fragen jetzt, ob Karen vorhatte, ihren Ehemann mitzunehmen“, entgegnete Wanda. „Mal ganz ehrlich: Welche Frau mietet ohne das Wissen ihres Mannes ein Haus, wenn sie nicht vorhat, ihn zu verlassen?“
„Olivia meinte, dass sie darauf achten musste, ihrem Vater nichts zu verraten. Und nachdem ihre Mutter gestorben war, hat Olivia ihm nichts gesagt, weil sie dachte, dass es ihn traurig machen würde.“
Wanda schniefte. „Das Kind kennt sich mit Geheimnissen einfach zu gut aus. Das ist nicht normal. Und das ergibt alles überhaupt keinen Sinn.“
„Was hat Olivia denn über die Streitigkeiten erzählt?“, fragte Tracy Janya.
„Sie sagte, dass sie sich bei jedem Streit gewünscht habe, dass es aufhört. Und nach dem Tod ihrer Mutter hat sie sich gefragt, ob es vielleicht ihre Schuld gewesen sein könnte – weil sie doch den Wunsch gehabt hat, dass es ein für alle Mal vorbei ist.“
„Das arme Kind.“
„Ich habe ein ungutes Gefühl“, erklärte Wanda. „Dass Lee der pflichtbewusste Schwiegersohn sein soll, der sich aus Liebe zu seiner toten Frau für Alice aufopfert, entspricht vielleicht gar nicht der Wahrheit – auch wenn er uns das glauben machen will. Ich bin mir sicher, dass er die Sache mit dem Haus herausgefunden hat. Spätestens nach Karens Tod. Der neue Vermieter hat ihn doch sicherlich ausfindig gemacht. Falls Karen also vorhatte, ihn zu verlassen, hat er das gewusst.“
Tracy stellte ihre Kaffeetasse auf den Tisch. „Ich kann den Gedanken nicht ertragen, dass drüben etwas nicht stimmen und Alice oder Olivia dadurch etwas passieren könnte. Ich treffe Olivia zwar im Freizeitzentrum, aber diese Woche war sie nur selten da. Ich glaube, Lee lässt sie zu Hause, damit sie auf Alice aufpasst. Oder um sie von mir fernzuhalten.“
„Mich hat sie auch nicht mehr besucht“, sagte Janya. „Sie ist sonst oft vorbeigekommen, aber seit letztem Samstag nicht mehr.“
„Ich bemühe mich, nett zu Lee zu sein. Er soll wissen, dass wir die Situation im Auge behalten. Aber das reicht nicht. Wir haben keinerlei Beweise – keine echten jedenfalls –, dass bei Alice zu Hause etwas nicht stimmt. Wir haben nur
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