Insel hinter dem Regenbogen (German Edition)
wie er, sie in seinem Leben zu haben.
Natürlich entsprach beides nicht der Wahrheit.
Sie rührte in dem Topf mit den gebackenen Bohnen, die sie zu Reis und einem Teller mit Rohkost reichen wollte. „Es ist noch nicht ganz fertig. Möchtest du vielleicht schon einen kleinen Snack?“
Rishi machte den Kühlschrank auf und starrte hinein, als hätte er nie gedacht, dass sich so etwas darin befinden könnte. Als ihr Ehemann bei seinem Onkel und seiner Tante hatte leben müssen, waren ihm nur wenige Freiheiten zugestanden worden. Und sich selbst etwas zu essen zu nehmen, wenn er hungrig war, hatte nicht dazugehört.
Janya fand das traurig. Rishi war der geliebte Sohn gewesen, bis seine Eltern bei dem Giftgasunfall in Bhopal ums Leben gekommen waren. Seine Mutter und sein Vater, die für die Gewerkschaft gearbeitet hatten, die die Arbeiter in der Fabrik der Firma Union Carbide vertreten hatte, hatten sich Sorgen um die zunehmend schlechter werdenden Sicherheitsbedingungen gemacht und ihren kleinen Sohn zu seiner Tante nach Delhi geschickt. Am Ende des Jahres hatten sie zu ihm kommen wollen. Doch noch ehe sie Bhopal für immer hatten verlassen können, waren ihre schlimmsten Befürchtungen eingetreten, und Rishi war zum Waisen geworden.
Rishi sagte oft, er sei gesegnet gewesen, einen Onkel gehabt zu haben, der ihm ein Zuhause in Amerika geboten hatte. Aber Janya war sich nicht immer sicher, ob es ein Segen gewesen war. Ihr kam Rishi manchmal wie eines der bettelnden Kinder auf den Straßen von Mumbai vor, die um Aufmerksamkeit und Beachtung flehten. Hungrig nach Liebe, schamlos, ja sogar ängstlich. Manchmal glaubte sie, dass er nur in den Kühlschrank sah, um sicherzugehen, dass das Essen noch immer da war und dass er ungehinderten Zugang dazu hatte.
Sie hielt ihren Mann nicht für besonders hübsch. Rishi war nur wenige Zentimeter größer als sie, dünn, aber mit einem muskulösen Körper. Irgendwie schien dieser Körper mit sich selbst im Widerspruch zu stehen, hielt niemals still, war niemals wirklich ausgewogen in seinen Bewegungen. Rishis Nase ragte hervor, und ein Schnurrbart ließ sie nur noch größer wirken. Er hatte lange, kräftige Augenbrauen über seinen runden Augen. Wenn er lächelte, stachen seine großen, perfekten Zähne aus seinem bronzefarbenen Gesicht hervor.
Rishi war ein netter Mann und dankbar für alles, was er hatte. Oft mahnte sie sich, dass sie sich glücklich schätzen konnte, jemanden geheiratet zu haben, der sie nicht schlecht behandelte. Und dass sie sich glücklich schätzen konnte, keine kritische Schwiegermutter zu haben oder einen Schwiegervater, der darauf bestand, dass sein Sohn und seine Schwiegertochter vor ihm krochen wie Sklaven. Rishis Tante und Onkel hatten kein Interesse daran, Teil ihres Lebens zu werden. Obwohl sie sich in Orlando zur Ruhe gesetzt hatten, waren sie seit der Hochzeit vor acht Monaten erst ein Mal zu Besuch gekommen. Das Apartment, in dem Janya und Rishi damals gewohnt hatten, hatte sie nicht beeindruckt. Sie waren nur eine Nacht geblieben und am nächsten Morgen gleich zu einem ausgedehnten Besuch bei ihrem richtigen Sohn in Fort Lauderdale aufgebrochen.
Jetzt konnte sie es nicht länger ertragen, ihren Mann in den Kühlschrank starren zu sehen. Sie ging an ihm vorbei und nahm einen der Fruchtsäfte heraus, die sie in dem Spezialitätengeschäft gekauft hatte. Während er zusah, füllte sie den Saft in ein Glas mit Eiswürfeln und reichte ihm das Getränk. Dann widmete sie sich wieder den Vorbereitungen fürs Essen.
„Hattest du einen schönen Tag?“, erkundigte er sich.
„Nicht so gut, wie er hätte sein können.“ Sie nahm einen Löffel voll Bohnen und gab sie auf einen Teller, um sie zu probieren. Das Rezept stammte aus einem amerikanischen Frauenmagazin, doch wie immer fehlte dem Gericht der Geschmack. Sie begann, das Gericht abzuschmecken und Gewürze hinzuzufügen, während sie sich unterhielten.
„Bist du in der Stadt gewesen?“, fragte er.
„Der Bus kam pünktlich.“ Sie zählte auf, was sie alles erledigt hatte.
„Dann hast du alles geschafft, was du dir vorgenommen hast. Und das macht dich nicht glücklich?“ Er klang ehrlich interessiert. Rishis Ansicht nach war eine abgehakte Liste von Dingen, die man erledigen musste, so gut wie ein Tag in Disney World – womit er alles verglich.
Über den Tod zu reden, wenn sie gerade das Essen vorbereitete, schien Janya kein gutes Omen zu sein, obwohl sie sich bemühte, nicht
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