Insel meiner Sehnsucht Roman
dieser Stelle wartest.«
»Aber er wird nicht allein hierher kommen.«
Eine böse Ahnung stieg in ihr auf, keine Vision, einfach nur die Angst einer Frau um den Mann, den sie liebte. »Versperr den Ausgang«, bat sie. Erstaunt starrte er sie an, und sie fuhr flehend fort: »Dann könnte er nicht fliehen. Irgendwann wird er sterben, und du musst das Leben deiner Krieger und dein eigenes nicht aufs Spiel setzen.«
Sie führte ihn in Versuchung. Das merkte sie ihm an. Ja, es drängte ihn, den letzten Weg aus dem Höhlenlabyrinth zu blockieren, die Männer darin einzuschließen, die ihn gefangen gehalten hatten, und einem langwierigen, qualvollen Tod auszuliefern. Darauf hatte er sich vorbereitet. Aber er entzündete die Lunte nicht.
»Wenn ich das tue«, sagte er – eher zu sich selbst als zu Kassandra, »kann ich das Problem nicht lösen. Die Leute würden zwar glauben, Deilos wäre tot und Akora gerettet. Doch sie würden es nicht mit Sicherheit wissen. Schon jetzt fühlen sie sich bedroht.«
Noch mehr musste er nicht hinzufügen. Was er meinte, verstand sie sehr gut. Falls Atreus starb, brauchte Akora einen neuen Vanax. Der Bevölkerung würden schwere Zeiten bevorstehen. In ihrer Trauer um den verstorbenen Regenten sollten sie wenigstens Trost in der Gewissheit finden, dass dessen Mörder seine gerechte Strafe erlitten hatte.
»Warten wir noch eine Weile.« Royce winkte zwei Männer zu sich und befahl ihnen. »Bewacht die Atreides.«
Schweigend nickten sie. Kassandra verzichtete auf einen sinnlosen Protest. Wenn es zu einem Kampf kam, war sie hier auf dem Plateau am besten geschützt. Natürlich würde Royce nicht bei ihr bleiben, sondern sein Schwert schwingen.
Und sie würde untätig zuschauen müssen …
Ihr Blick fiel auf das Schießpulver. In der Nähe lagen ein Flintstein und Zunder. So einfach wäre es …
Immer höher stieg der Mond empor und schien zu schrumpfen. Doch sein Licht blieb hell genug, um die Insel in silbernen Glanz zu tauchen.
Sie sah Royce nicht mehr. Irgendwo im Wald jenseits des Wasserfalls verbarg er sich mit seinen Kriegern. Die beiden, die sie beschützten, hätten ihn sicher ebenfalls sehr gern begleitet, und sie empfand flüchtiges Mitleid, weil sie den Kampf versäumen würden.
Lautlos warteten sie. Was mochte jetzt in den Höhlen geschehen? Wie viele Männer hatte Deilos um sich geschart? Wann würden sie erkennen, dass der einzige Weg ins Freie durch den unterirdischen Fluss führte – und dann den Wasserfall hinab? Würden sie es wagen, diese gefährliche Route zu wählen, obwohl sie wissen mussten, wie leicht sie ertrinken könnten?
Deilos würde nicht zögern. Zuversichtlich würde er sich seinen Göttern des Meeres und des Sturms anvertrauen.
Und er würde das Griechische Feuer mitbringen, das gegen alle Wassermassen immun war.
Kassandra trat etwas näher an die Fässer heran und spürte die wachsamen Blicke der beiden Akoraner. Doch sie wusste, sie würden sie gewähren lassen, solange sie nicht vom Rand des Plateaus hinabstieg und in eine bedrohliche Situation geriet. Wenn sie sich bückte und ihnen den Rücken kehrte – wenn sie mit ihrem Körper das Werk ihrer Hände abschirmte, könnte sie nach Flintstein und Zunder greifen …
Und Royce hintergehen? Er hatte ihr Vertrauen gewonnen – und jedes Recht, von ihr zu verlangen, dass sie sich nach seinen Wünschen richtete.
Er war der Krieger, nicht sie. Wenn sie ihren Mut auch oft genug bewiesen hatte und sich auf ihre Instinkte verlassen konnte – der Kriegsgott würde stets ihn begünstigen.
Als sie zurückwich, starrte sie die Pulverfässer immer noch an, fühlte sich jedoch nicht mehr versucht, die Lunte zu entzünden. Stattdessen setzte sie ihre ganze Hoffnung auf den Mann, der es verdiente, dass sie voller Zuversicht an seine Fähigkeiten glaubte. Und so betete sie inbrünstig um seinen Erfolg.
Plötzlich erklangen Schreie, vom Rauschen des Wasserfalls gedämpft, aber unüberhörbar. Kassandra lief wieder zum Rand des Plateaus und beobachtete, wie ein dunkler Schemen aus der Höhlenöffnung geschleudert wurde und in den schäumenden Fluten hinabraste. Noch ein Mann folgte ihm – und dann noch einer.
Kein Angstgeschrei, sondern das Grauen erregende Gebrüll von Kriegern, die über ihre Gegner herfallen wollten… Tatendurstige Männer versanken im Teich zu Füßen des Hügels, kletterten hastig ans Ufer und warfen die Töpfe, die sie bei sich trugen, zu den Bäumen …
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