Insel meiner Traeume
bedenken - seit der Explosion sind die Höhlen verschlossen, und die Leichen der Stiermänner liegen für immer unter dem Schutt begraben. Also haben wir keine Beweise für die Schuld irgendwelcher Leute.«
»Wer könnte es sonst gewesen sein?«
»Möglicherweise die Rebellen. Das wird Deilos jedenfalls behaupten. Vielleicht kann uns dein Bruder, wenn er zu sich kommt, etwas mehr erzählen. In der Zwischenzeit müssen wir mit äußerster Vorsicht zu Werke gehen. Der Vanax ist verpflichtet, alle Bürger gerecht zu behandeln. Wenn Atreus Anklagen vorbringt, ohne sie zu untermauern, oder vage Beschuldigungen auch nur zulässt, werden ihn seine Gegner umso heftiger attackieren.« Empört wollte Joanna protestieren, doch Alex schnitt ihr energisch das Wort ab. »So wie die Dinge liegen, bleibt uns gar nichts anderes übrig, als abzuwarten, bis Royce aufwacht. Hoffentlich wird er uns das erforderliche Beweismaterial liefern.«
Ihr glasklarer Verstand ging bereits einen Schritt weiter, und sie erkannte die Gefahr, in der ihr Bruder immer noch schwebte. Vermutlich gab es Feinde, die ihn daran hindern wollten, je wieder zu sprechen. »Er muss bewacht werden.«
»Ebenso wie du. Auch du warst in den Höhlen. Wer immer die Schuld an dem Verbrechen trägt, weiß nicht, wie viel du gesehen oder gehört hast.«
»Nichts, was uns weiterhelfen würde«, erwiderte Joanna bitter.
»Leider tappe ich genauso im Dunkeln wie du. Wer immer diese Leute sein mögen - sie sind auf der Hut und bieten uns nicht die geringste Angriffsfläche.«
Über dieses Problem dachte er immer noch nach, während er Joanna ein paar Minuten später verließ und den Vanax in dessen Privatzimmer aufsuchte. Dort erörterten sie die bedrohliche Situation, bis die Nacht auf Akora herabsank.
Joanna saß neben ihrem Bruder auf der Bettkante und weigerte sich, Elenas Rat zu befolgen und sich auszuruhen. Nur für eine Viertelstunde verließ sie ihn, weil sie baden und ein sauberes Kleid anziehen wollte. Liebevoll hielt sie Royces Hand, erzählte von der gemeinsamen Kindheit und erklärte, wie viel er ihr bedeutete, welch große Sorgen er ihr bereitet habe. Und sie versicherte immer wieder, nun würde sich alles zum Guten wenden, denn er sei aus der Gefangenschaft befreit worden und in Sicherheit. Sie sprach mit ihm, bis ihre Kehle schmerzte.
Erst nach Mitternacht wurde sie von ihrer Erschöpfung besiegt und schlief an seiner Seite ein. Sie bemerkte nicht einmal, dass Elena behutsam eine Decke über ihren Körper breitete.
Als der schwarze Vogel durch ihren Traum flatterte, wurde sie von einem gellenden Schrei geweckt.
Die Augen weit geöffnet, saß Royce kerzengerade im Bett. »Joanna!«
So plötzlich aus dem Schlaf gerissen, folgte sie einfach ihrem Instinkt, umarmte ihn und versuchte, ihn zu beruhigen. »Ja, Royce, ich bin es! Alles in Ordnung... Du bist frei. Und was immer du erduldet hast - es ist vorbei!«
Zunächst schien er ihre Worte nicht zu hören. Doch sein leerer Blick wurde sehr schnell von schmerzlichem Begreifen verdrängt, von kaltem Entsetzen. »Nein, Joanna! Sag mir, dass ich träume. In Wirklichkeit bist du nicht hier.« Kraftlos, aber immer noch aufgeregt, sank er in die Kissen zurück und starrte seine Schwester an, als hoffte er, sie würde sich in Luft auflösen.
»Du träumst nicht!« Verwirrt umklammerte sie seine Hand und fuhr eindringlich fort: »Ich bin wirklich bei dir. Aber ich verstehe nicht, warum dich das so furchtbar erschreckt. Du wurdest in den Palast von Akora gebracht,
Royce. Und du wirst gut versorgt.« Lächelnd wies sie auf Elena, die sich von ihrem Stuhl in einer Ecke des Zimmers erhoben hatte. »Diese freundliche Frau hat mir versichert, dass du dich bald erholen wirst. Darüber müsstest du dich freuen.«
Mit einer knappen Geste winkte er sie näher zu sich und flüsterte so leise, dass sie ihn kaum verstand: »Wir müssen unter vier Augen reden.«
»Sicher ist niemand hier, der englisch spricht«, wisperte
sie.
»Keinem kann ich trauen - nur dir...«
Joanna wandte sich zu der Heilkundigen. »Wenn es Ihnen nichts ausmacht, Elena - würden Sie uns allein lassen? Mein Bruder und ich waren so lange getrennt, und wir hätten gern ein bisschen Zeit für uns.«
Falls die alte Frau glaubte, irgendetwas würde nicht stimmen, zeigte sie ihre Bedenken nicht. Stattdessen verließ sie das Zimmer. Bevor sie die Tür schloss, konnte Joanna einen kurzen Blick auf die Wachposten werfen, die im Korridor Stellung bezogen
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