Insel meiner Traeume
pechschwarzen Haaren und markanten, wie aus Stein gemeißelten Zügen, die jetzt Erleichterung und echte Freude bekundeten.
Hastig erhob sich der Vanax Atreus, der Erbe der Atreiden-Dynastie und Herrscher von Akora, und umarmte seinen Halbbruder. Gleich groß, von der gleichen harten Ausbildung geprägt, schlugen sie einander auf die Schultern, mit einem Enthusiasmus, unter dem kleinere, schwächere Männer zusammengebrochen wären. »Wie schnell du zurückgekehrt bist!«, rief Atreus. »Ich habe erst nächste Woche mit dir gerechnet.«
Grinsend musterte Alex das Gesicht seines Bruders, die hohe Stirn, ausnahmsweise frei von den Sorgenfalten, die sie in letzter Zeit oft überschattet hatten. »Zum Glück konnte ich alles viel schneller erledigen, als ich’s erhofft hatte.«
Atreus nickte. Wegen des geringen Altersunterschieds waren sie zusammen aufgewachsen und hatten die Abenteuer der Jugend geteilt. Doch was sie miteinander verband, ging weit über bloße Kameraderie hinaus. Durch ihre Geburt nahmen sie verschiedene Positionen ein - Alex, der halbe Xenos, Atreus, vom Schicksal zum Regenten bestimmt. Sie wären zur Einsamkeit verdammt worden, hätten sie nicht schon am Anfang ihres Lebens zueinander gefunden. Von der Kindheit im Frauenhaus bis zu den langen Tagen und Nächten des militärischen Drills in den rauen Bergen oberhalb von Ilius hatten sie ein festes Band aus Liebe und Treue geflochten, das niemals zerreißen würde.
Zu dieser Loyalität kam ein tiefes Verständnis, das sie einander entgegenbrachten. Und dank ihrer Seelenverwandtschaft las der eine mühelos die Gedanken des anderen.
Der Vanax ergriff den Schlägel eines Gongs, um einen Diener herbeizurufen. Dann wandte er sich wieder zu seinem Halbbruder. »Also war deine Mission erfolgreich. Und was bedrückt dich?«
»Für meinen Geschmack bist du viel zu einfühlsam«, seufzte Alex. »Manchmal finde ich das fast unheimlich.«
Lachend wies Atreus auf zwei Sessel am Fenster und setzte sich. »Unsinn, ich kenne dich einfach nur gut genug.« Er unterbrach sich, als ein Diener eintrat und respektvoll den Kopf neigte. »Wein«, bestellte er, »und ein Imbiss.« Nachdem der Mann verschwunden war, schaute der Vanax wieder seinen Halbbruder an. »Ist das englische Essen immer noch so schrecklich, wie du’s mir erzählt hast?«
»Noch schlimmer, falls das überhaupt möglich ist. Sobald wir den Kanal verlassen hatten, kochten die Männer unsere geliebten Marinos.«.
Atreus hob listig die Brauen. »Trotzdem möchte ich die englische Küche eines Tages kosten, falls es die Umstände erlauben.«
Dazu sagte Alex nichts. Der Diener kehrte zurück. Beflissen stellte er einen blau glasierten Weinkrug, zwei pas-sende Kelche und eine Platte mit Käse und Brot auf einen kleinen Intarsientisch. Nach einer tiefen Verbeugung entfernte er sich.
Atreus füllte die Kelche. Einen davon reichte er seinem Bruder, der daran nippte und anerkennend nickte.
»Wenn die Franzosen wüssten, was unsere Weingärten hervorbringen, hätten sie nicht nur jenes eine Expeditionskorps hierher geschickt«, meinte der Vanax.
»Nur gut, dass sie’s nicht einmal ahnen, sonst hätten wir noch mehr Probleme.«
Atreus nahm einen Schluck Wein. Geistesabwesend betrachtete er den Kelch. »Im Großen und Ganzen war es ruhig auf Akora - vielleicht zu ruhig.«
»Der Regierungsrat... ?«
»... tagt wie eh und je. Von den sechs Mitgliedern scheinen drei auf meiner Seite zu stehen. Und die anderen...« Der Vanax zuckte die Achseln. »Welch eine Ironie - ausgerechnet der jüngste Ratsherr sträubt sich gegen Veränderungen. Aber du erinnerst dich sicher, wie Deilos schon in unserer Kindheit gewesen ist.«
»Allerdings.« Der Spross einer vornehmen akoranischen Dynastie blickte auf eine fast ebenso alte Familiengeschichte zurück wie die Atreiden. Bereits als Junge stets auf seine Würde bedacht, war Deilos zu einem gefühlskalten, wachsamen Mann herangewachsen. Hinter seiner noblen Fassade verbarg sich ein rücksichtsloses, selbstsüchtiges Wesen. Hochnäsig, dachte Alex. So würde ihn die Londoner Gesellschaft bezeichnen, in der er zweifellos seinesgleichen fände. »Eigentlich hätte er allen Grund, die Weisheit unserer Politik zu schätzen. Im Gegensatz zu den meisten anderen Akoranern hat er Auslandsreisen unternommen.«
»Was ihm nicht zu den klugen Einsichten verhalf, die du in der Außenwelt gewonnen hast.«
Alex lächelte schwach und fragte sich: Würde es mein Bruder besonders klug
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