Insel meiner Traeume
zusammen. Abrupt besann sie sich auf das Hier und Jetzt. Sie musterte ihren ausgestreckten Arm, die Hand, die das Mauerwerk berührte. Stein, der sich für einen Moment kalt und feucht angefühlt hatte.
Doch das Sims, das sie betrachtete, war trocken, von der Sonne erwärmt.
In der milden Luft wehten süße Düfte heran. Keine kühle Nässe. Das prächtige Schauspiel des Sonnenuntergangs erleuchtete den Raum. Kein Dunkel, nur von einem winzigen Lichtstrahl schwach erhellt. Und Joanna, frisch gebadet, gesättigt, ausgeruht und nicht...
Royce.
Ja, er lebte, und während eines kurzen Augenblicks war sie irgendwie in seine Nähe gelangt, auf eine Weise, die sie niemals verstanden hatte, aber akzeptierte. Mein Bruder lebt, dachte sie, und heiße Freude stieg in ihr auf - gefolgt von neuer Angst. Trotz seiner Energie und Willensstärke schwanden seine Kräfte.
Die Zeit lief ihr davon.
Während seine Schwester in der Suite des Prinzen verwöhnt wurde.
»Spiel deine Rolle«, hatte Alex befohlen.
Mit einer zitternden Faust schlug sie gegen die Wand, immer wieder - bis der Schmerz das Grauen besiegte und eiserne Entschlossenheit weckte.
8
Als Alex seinen Halbbruder verließ, verbrannten die Priesterinnen gerade die letzten Opfergaben dieser Nacht und gingen schlafen.
Stundenlang hatte er mit Atreus über die Ereignisse der letzten Monate und ihre Bedeutung für die Zukunft gesprochen. Die wichtigsten Fakten hatte Alex den Briefen des Vanax entnommen, von vertrauenswürdigen Boten nach London gebracht. Doch es gab immer noch genug zu erörtern. Wie sich bei der freimütigen, ausführlichen Unterredung herausstellte, spitzte sich die brisante Situation bedenklich zu - was Alex nicht überraschte.
Atreus, ein vernünftiger Mann, zog sich schließlich zurück. Aber Alex sah keinen Grund, diesem Beispiel zu folgen. Stattdessen jagte ihn der Gedanke an Joanna, die in seinem Bett lag, zum Strand unterhalb des Palasts hinab. Dort wanderte er am Rand schäumender Wellen entlang. Jeder einzelne seiner Schritte wurde von den pflichtgetreuen Posten auf den Wachtürmen beobachtet. Das wusste er, aber er verdrängte sie aus seinen Gedanken und fand wenigstens annähernd Ruhe und Seelenfrieden.
Nur kurzfristig. Viel zu früh dachte er wieder an sein seidenes Bett und die Frau, die darin schlief.
Wahnsinn.
Seufzend setzte er sich in den weichen Sand. Er musste sich mit ernsthaften Problemen befassen. Während dieser gefährlichen innenpolitischen Krise fehlte ihm die Zeit für Tändeleien - und für eine Lady, die ihm ihre eigenen Sorgen aufbürden wollte.
Was er ihr zu sagen hatte, peinigte ihn. Ihr Bruder war spurlos verschwunden, und das würde sie mit tiefer Ver-
zweiflung erfüllen. Um den Augenblick der schmerzlichen Wahrheit hinauszuzögern, saß Alex immer noch im abgekühlten Sand, nachdem der Mond längst untergegangen war. Nur noch die Sterne funkelten am Himmel.
Auch in London hatte er stille Nächte im Freien erlebt. Während der langen Finsternis schien sich nichts auf der Welt zu bewegen - nichts außer ihm selbst. In jenen Nächten hatte ihn die Kälte bald zur Wärme eines Kaminfeuers getrieben, zur leidenschaftlichen Glut einer Frau...
Plötzlich erinnerte er sich an Eleanor Lampert. In der letzten Nacht vor seiner Abreise hatten sie eine Zeit lang in seiner Kutsche gesessen, am Rand von Southwark, und sich verabschiedet. Danach war sie von seinem Fahrer nach Hause gebracht worden. Seit damals hatte er kaum an sie gedacht. Auch jetzt vergaß er sie schon nach wenigen Minuten ...
Auf Akora waren die Nächte anders. Hier quakten Laubfrösche hinter dem Strand. Flughunde flatterten umher und bedrohten nichts außer den süßen Früchten, die sie suchten. Irgendwo im Dunkel würden Füchse und Eulen auf die Jagd gehen. Hin und wieder hörte Alex ein Plätschern, wenn verspielte Tümmler oder Rochen aus dem Meer auftauchten, vielleicht sogar Kraken, die sich allerdings nur selten an die Wasseroberfläche wagten.
Warum befassten sich seine Gedanken mit solchen Dingen? Er sollte seine Suite aufsuchen und sich erholen, denn er musste Kräfte sammeln, um der Herausforderung zu begegnen, die seinem Königreich, seinem Volk und seiner Familie drohte. Andererseits - er könnte die ganze Nacht am Strand verbringen. Irgendwann würde er einnicken. Als Krieger hatte er gelernt, mit wenig Schlaf auszukommen.
Feigling.
Erbost über dieses Wort, das ihm wider Willen durch den
Sinn ging, rannte er den Strand hinauf,
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