Insel meines Herzens
gesellschaftliches Debüt vorbereitet. Schon vor Monaten hätte es stattfinden müssen.«
»Ja, ich weiß«, gab Brianna zu. Nur zu gern dachte sie an andere Dinge. »Und ich bin euch beiden von ganzem Herzen dankbar, weil ihr mir so freundlich geholfen habt, meinen Platz im Land meiner Geburt zu finden. Aber ich frage mich, ob dieser Abend der richtige Zeitpunkt ist. Auf keinen Fall möchte ich die allgemeine Aufmerksamkeit von Atreus’ Gegenwart ablenken.«
»Oh, das musst du nicht befürchten«, entgegnete Joanna unverblümt. »Kein einziges Mitglied der Londoner Oberschicht wird sich für jemand anderen interessieren. Wahrscheinlich werden die Leute sogar Prinny übersehen.«
»Was eine völlig neue Erfahrung für den Prinzregenten wäre«, murmelte Kassandra. »Übrigens, wo treiben sich die Männer herum?«
»Die sind zeitig aufgestanden«, berichtete Joanna lächelnd. »Zumindest gilt das für Alex.« Ihr Lächeln vertiefte sich. »Aber er brach nicht ganz so früh auf wie geplant... Ich nehme an, sie hatten irgendetwas vor.«
Stöhnend verdrehte Kassandra die Augen. »Wenn sie blutbefleckt und verdreckt zurückkommen, ist es unser gutes Recht, energisch Einspruch zu erheben.«
»Warum sollten sie sich so albern benehmen?«, wandte Brianna ein. Beinahe hätte Atreus sein Leben verloren. Sicher würde er kein überflüssiges Wagnis eingehen.
Doch, genau das würde er tun. Lange genug hatte sie inmitten akoranischer Krieger gelebt, um diesen Verdacht zu hegen. Was sie für unnötige Gefahren hielt, betrachtete er als vergnüglichen Zeitvertreib.
»Sie sind nun einmal Männer«, seufzte Joanna.
Dann leuchteten ihre Augen auf, denn ein Dienstmädchen trug Amelia ins Zimmer. »Verzeihen Sie, Mylady, die Kleine lässt sich einfach nicht beruhigen.«
»Wenn Sie mir meinen Liebling bringen, müssen Sie sich nicht entschuldigen.« Joanna streckte die Arme aus. »Was fehlt dir denn, Schätzchen?«
Nichts, entschied Brianna, denn die Tränen des Babys versiegten, sobald es die Berührung der Mutter spürte. Statt zu quengeln, schaute sich Amelia neugierig um.
»Was für ein faszinierendes Geschöpf...«, bemerkte Kassandra.
»Deine Patentochter?« Joanna lachte. »Natürlich bewunderst du sie.«
»Nicht nur deshalb. Ich habe das unheimliche Gefühl, sie sieht...«
»Ja, selbstverständlich kann sie sehen.«
»So meine ich’s nicht. Ihr Blick dringt – in die Tiefe, und sie nimmt irgendetwas – vollständiger wahr als normale Sterbliche.«
»Was sagst du da?«, flüsterte Joanna und drückte ihr Kind noch fester an sich.
»Nichts Schreckliches«, beteuerte Kassandra sanft. »Das weißt du sehr gut. In dieser Familie wurden schon oft Frauen mit ungewöhnlichen Fähigkeiten geboren.«
»Sie ist doch noch ein Baby«, protestierte Joanna und starrte ihre Tochter bestürzt an. »Sicher ist es viel zu früh, um so etwas festzustellen.«
In diesem Moment gab Amelia einen leisen Laut von sich, der wie ein Kichern klang.
»Nur Blähungen!«, rief Joanna erleichtert. »Sie versteht kein Wort von diesem Unsinn.«
Entschlossen schüttelte Kassandra den Kopf. »Für ein Baby mit Blähungen kommt sie mir etwas zu fröhlich vor.« Zu Brianna gewandt, fuhr sie fort: »Spreche ich in Rätseln? Oder verstehst du, wovon ich rede?«
»Soviel ich weiß«, begann Brianna langsam, »besitzt ihr beide bemerkenswerte Gaben. Joanna stöbert auf, was verloren gegangen ist. Und du...« Nach kurzem Zögern fügte sie hinzu: »Eigentlich dachte ich, dein besonderes Talent muss dir manchmal wie ein Fluch vorkommen. In die Zukunft zu schauen...«
»In eine mögliche Zukunft«, betonte Kassandra. »Meine Visionen erfüllten einen vorteilhaften Zweck, solange Akora bedroht wurde. Jetzt erscheint mir die Zukunft glücklicherweise genauso mysteriös wie den meisten Menschen. Trotzdem wissen wir Bescheid über diese erblichen Fähigkeiten. Sie entstammen längst vergangenen Zeiten, der frühen Geschichte von Joannas Familie, und gelangten nach Akora, als einer ihrer Ahnherren vor vielen Jahrhunderten unsere Küste erreichte.«
»Aber die Vererbung solcher Gaben ist unvorhersehbar, nicht wahr?« Brianna betrachtete die kleine Amelia, die den Blick ernsthaft erwiderte. »Und in vielen Generationen traten sie gar nicht auf.«
»Da hast du Recht«, bestätigte Joanna. »Meines Wissens zeigen sie sich nur, wenn sie gebraucht werden. Jedenfalls wird sich Amelia so entwickeln, wie sie’s will.«
Brianna lächelte das Baby an.
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