Insel meines Herzens
höfischer Intrige bestens geschult war. »Um nichts auf der Welt möchte ich das Fest versäumen.«
»Ah, sehr gut...« Joanna hatte den Kopf zu ihrer Tür herausgestreckt und die Papiere in der Hand der Schwägerin gesehen. Erleichtert seufzte sie. »Also hast du die Tischordnung mitgebracht. Vorhin erhielt ich die Nachricht, Lord Bromley und Lord Duchamps seien heute Morgen mit einer bestürzenden Information überrascht worden. Letztes Jahr haben sie dieselbe Geliebte geteilt. Darüber freut sich weder der eine noch der andere.«
»Wenigstens haben Lady Bromley und Lady Duchamps ein faszinierendes Gesprächsthema«, höhnte Kassandra.
»Diese Nachricht bekam ich von Lady Melbourne«, erklärte Joanna und drückte Amelia an ihre Schulter. »Kaum zu glauben, diese Frau tut mir einen Gefallen.«
»Weil sie dich akzeptiert hat«, erwiderte Kassandra. »Sie bewundert dich.«
»Mit gutem Grund«, ergänzte Brianna. »Übrigens, im Erdgeschoss ist alles in bester Ordnung.«
Dankbar lächelte Joanna die Freundin an. »Gott sei Dank! Große Bälle und Partys zu arrangieren, das zählte niemals zu meinen herausragenden Fähigkeiten. Eigentlich habe ich so etwas immer gehasst. Aber nach der Hochzeit musste ich’s lernen. Trotzdem fällt es mir ziemlich schwer, Prinny und die Whigs und die Torys ins Haus zu bitten. Nur Atreus zuliebe nehme ich diese Tortur auf mich. Für keinen anderen würde ich’s tun.«
Oh ja, Atreus... Den ganzen Tag hatte Brianna den Gedanken an den Vanax in ihr Unterbewusstsein verdrängt. Jetzt erschien er an der Oberfläche und im Mittelpunkt weiterer Überlegungen. Atreus und Hollister. Hollister und Atreus. Und Holyhood, das mysteriöse Holyhood, in einen fragmentarischen Traum gehüllt...
Vor der Ankunft der Zofe, die ihr bei der Abendtoilette helfen sollte, fand sie gerade noch Zeit für ein heißes Bad. Danach saß sie vor dem Toilettentisch und ließ ihr Haar bürsten, bis es seidig schimmerte, dann wurde es zu einer Krone hochgesteckt, aus der ein paar Locken herabfielen und ihre Schultern streiften. Nackte Schultern... Unbehaglich dachte sie an die außergewöhnliche Kreation, die Madame Duprès für sie entworfen hatte.
»Da der Ball zu Ehren des Vanax von Akora stattfindet«, hatte die Schneiderin entschieden, »brauchen Sie ein Kleid im griechischen Stil, n’est-ce pas ?«
»Würde sich der akoranische Stil nicht besser eignen?«, wandte Brianna ein.
»Gibt es da einen Unterschied?«
Der griechische Stil – oder was man dafür hielt – war der letzte Schrei, dank der Franzosen. Obwohl sie mit den Briten verfeindet waren, blieben sie die unangefochtenen Experten in allen modischen Belangen.
»Auf Akora kleiden wir uns viel schlichter«, betonte Brianna.
»Mais non« , hatte die Schneiderin entsetzt protestiert. »Einfache Kleidung sollte man den Dienstmädchen vorbehalten.«
Und so stand Brianna in einem Kleid vor dem Spiegel, das man mit einiger Fantasie griechisch nennen konnte. Ganz egal, wovon es inspiriert worden war, es wirkte hinreißend – und leider auch ziemlich gewagt. Bei den ersten Anproben hatte sie das gar nicht bemerkt. Vielleicht hätte sie etwas besser darauf achten müssen.
Hatten die bogenförmigen Schulterpartien schon immer so viel Haut entblößt – oder zeigte der tiefe, gerade Ausschnitt viel mehr von ihren Brüsten, als es schicklich erschien? War Seide – in der Farbe von türkisblauem Meeresschaum – tatsächlich so hauchdünn, wie sie aussah? Vielleicht sogar durchsichtig? Nein, wenigstens diese Befürchtung war zum Glück unbegründet. Das stellte sie erleichtert fest, indem sie hastig vor das Licht einer Lampe trat. Trotzdem...
»Oh Miss, Sie sind schön wie eine Märchenprinzessin«, schwärmte die Zofe Sarah.
»Eigentlich fühle ich mich etwas zu leicht bekleidet.« Nach einem letzten Blick in den Spiegel entschied Brianna, nun wäre es zu spät, um irgendetwas dagegen zu unternehmen. Die Uhr schlug neunmal, jeden Moment würden die ersten Gäste eintreffen.
Sie bedankte sich bei Sarah und verließ ihr Zimmer. Etwas weiter unten am Korridor öffnete sich eine Tür, und Atreus trat heraus. Als er sie entdeckte, blieb er stehen. »Brianna...« Seine Augen schienen sie zu liebkosen. »Gestern Abend dachte ich, Sie könnten gar nicht zauberhafter aussehen. Offenbar habe ich mich geirrt.«
Wie aus weiter Ferne hörte sie seine Worte, und alle ihre Sinne konzentrierten sich auf ihn. Obwohl er in einem breiten Korridor mit hoher Decke
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