Insel meines Herzens
dem Laderaum der Schaluppe holten. Inzwischen zeigte Royce dem Vanax die Gästesuite im Westflügel, große Räume mit schöner Aussicht auf das Meer. Der Kammerdiener Castor war bereits eingetroffen und packte Atreus’ Sachen aus. Bevor er den beiden Männern höflich zunickte, stellte er die kleine hölzerne Kassette, in der die Statue lag, auf die Marmorplatte eines Tischchens neben dem breiten Bett.
»Ich glaube, hier hast du’s recht bequem«, sagte Royce.
»Ganz bestimmt. Herzlichen Dank für die Einladung.«
»War mir ein Vergnügen. Hoffentlich besuchst du uns noch sehr oft. Hawkforte ist jetzt Kassandras Heim. Natürlich vermisst sie dich. Und wenn du’s mit Brianna wirklich ernst meinst...«
»Wenn?« , unterbrach Atreus den Hausherrn und hob die Brauen.
Ironisch lächelte der hoch gewachsene, goldblonde Mann. »Also hast du tatsächlich vor, eine Frau zu heiraten, die du kaum kennst – einfach nur, weil du es für deine Pflicht hältst.«
An einen Fensterrahmen gelehnt, verschränkte Atreus die Arme vor der Brust und musterte seinen Schwager, in dem er auch einen Freund sah. »Was wäre denn besser? Sie nicht zu heiraten, obwohl ich es für meine Pflicht halte?«
Wie üblich nahm Royce kein Blatt vor den Mund. »Solltet ihr euch nicht besser kennen lernen – und vielleicht sogar ineinander verlieben?«
Atreus gestand sich ein, dass Royce über solche Emotionen viel besser Bescheid wusste als er selber. Trotzdem entgegnete er: »Und wenn wir uns nicht verlieben? Was dann? Sollen wir nicht heiraten? Brianna wurde zu meiner künftigen Gemahlin ausgewählt. Hätte ich früher gewusst, wer sie ist, wären wir bereits ein Ehepaar. Warum sollte ich noch länger warten? Damit würde ich nur sinnlos Zeit vergeuden.«
»Nach deiner Ansicht«, betonte Royce. »Und Brianna? Erst jetzt beginnt sie, ihre Identität zu entdecken. Vielleicht möchte sie das Leben führen, das ihr in England geboten wird.«
Atreus antwortete nicht sofort. Über dieses Problem zerbrach er sich den Kopf, seit Hollister auf der Bildfläche erschienen war. Und es gab nur eine einzige Lösung. »In den wenigen Stunden, die ich bisher mit Brianna verbracht habe, bewies sie mir immer wieder ihr Ehrgefühl und ihren Mut. Den Entschluss, den du soeben erwähnt hast, wird sie wohl kaum fassen.«
In Royces Blick zeigte sich tief empfundene Anteilnahme, aber auch Sorge. »Falls du Recht hast, wirst du es bald herausfinden. Mittlerweile muss Hollister erfahren haben, dass wir aus London abgereist sind, und er wird nicht zögern, unserem Beispiel zu folgen.«
Diese Prophezeiung traf zu. Schon am nächsten Morgen erhielten sie eine Einladung aus Holyhood.
»Seltsam«, seufzte Brianna, »so lange habe ich auf diesen Moment gewartet und davon geträumt. Und jetzt, wo sich meine Hoffnungen erfüllen sollen, bin ich mir nicht mehr sicher.«
»Du stehst vor einem wichtigen Einschnitt in deinem Leben«, meinte Joanna besänftigend. »Deshalb ist deine Sorge nur zu verständlich – weil du dich fragst, wohin dein Weg führen wird.«
»Nicht nur das... Ich glaubte zu wissen, was ich wollte – in England mehr über mich selbst zu erfahren, möglicherweise eine Spur meiner Eltern zu finden. Und nun, wo das alles tatsächlich geschieht, sollte ich mich freuen.«
»Ich erinnere mich an Zeiten, wo ich mich – oh, so furchtbar verwirrt fühlte«, gestand Kassandra. »Völlig durcheinander.«
»Oh ja, ich auch«, warf Joanna ein. »So lange ist das noch gar nicht her.«
Die Damen frühstückten im hohen Turm, jenem Teil von Hawkforte, den der Lord und seine Lady zu ihrem Privatquartier erkoren hatten. Von hier aus genossen sie eine atemberaubende Aussicht. Doch die nahmen sie kaum zur Kenntnis, mit Tee, Toast, Marmelade und vertraulichen Gesprächen beschäftigt.
»Leider provozieren die Männer immer wieder verwirrende Situationen«, bemerkte Kassandra. »So wie ein starker Wind überall welke Blätter verstreut, die man dann zusammenfegen muss.«
Brianna knabberte an ihrem Toast und schaute von einer Freundin zur anderen. »Was hat das mit Männern zu tun?«
Viel sagend wechselten die verheirateten Frauen einen Blick.
»Was glaubst du denn, warum du so verstört bist?«, fragte Joanna.
»Weil ich meine Familie auf Akora liebe und mir ernsthaft überlege, ob es richtig ist, Verbindung mit meinen englischen Verwandten aufzunehmen.«
Nun konnte sich Kassandra nicht länger zurückhalten. »Meine liebe Brianna, es geht um Atreus. Wie wir
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