Insel meines Herzens
an sich gekettet hatte, wandte sie sich zu den anderen Gästen. »Liebe Lady Joanna, liebe Lady Kassandra, wie nett, Sie beide zu begrüßen! Auch die beiden Lordschaften sind mir herzlich willkommen.« Ohne die geringste Scheu oder Ehrfurcht inspizierte sie Atreus. »Verzeihen Sie, Hoheit, wenn ich auf ein förmliches Zeremoniell verzichte. Jedenfalls ist es mir eine große Ehre, Sie auf Holyhood zu empfangen.«
Wie er ihr zubilligen musste, schien sie tatsächlich zu meinen, was sie sagte. Die Anwesenheit des Vanax von Akora war tatsächlich eine Ehre, außerdem der gesellschaftliche Triumph einer Saison, in der die vornehmsten Londoner Kreise mit allen Zähnen geknirscht hatten, weil ihnen der illustre königliche Besucher meistens ausgewichen war. Doch das schien für die Countess keine Rolle zu spielen.
»Bleiben wir doch nicht vor der Tür stehen, Liebes«, mahnte der Earl gutmütig. Nach einem toleranten Blick auf seine Frau führte er die Gäste in die Halle von Holyhood.
Krampfhaft schluckte Brianna und zwang sich zur Ruhe. So oft hatte sie das Buch geöffnet, das sie in Alex’ und Joannas Londoner Bibliothek gefunden hatte, die Zeichnung von Holyhood studiert, und deshalb war ihr die Fassade vertraut. Aber wenn sie die Schwelle überquerte und das Haus betrat – was würde sie entdecken?
Atreus wich nicht von ihrer Seite. Wie er Lady Constance einschätzte, wusste sie nicht. Aber seine Nähe wirkte tröstlich.
Während die Hawkfortes im Lauf der Jahrhunderte stets bestrebt gewesen waren, die ursprüngliche Architektur ihres Schlosses sorgsam zu erhalten, mussten die Hollisters ihren Landsitz mehrmals umgebaut haben, zuletzt vermutlich vor wenigen Jahrzehnten. Über der Eingangshalle, einer geräumigen Rotunde, wölbte sich eine hohe Kuppel. Das Mosaik des Marmorbodens stellte einen Stern dar. An den Wänden reihten sich Nischen mit Statuen im griechischen und römischen Stil aneinander, und das üppig bemalte Deckengewölbe ähnelte einem nächtlichen Himmel. Anmutige Marmorsäulen flankierten die beiden Treppen, die sich nach oben schwangen und irgendwo aus dem Blickfeld verschwanden.
»Dieses Haus hat mein verstorbener Onkel errichtet«, erklärte Hollister, »und ein Gebäude ersetzt, das der Tudor-Ära entstammte.«
»Sehr eindrucksvoll«, sagte Atreus und schaute Brianna an, die bleich und angespannt wirkte. Das hatte er nicht erwartet. Instinktiv ergriff er ihre Hand. Sogar durch den Lederhandschuh, den sie trug, spürte er ihre kalten Finger. »Stimmt irgendwas nicht?«, fragte er leise.
»Alles in Ordnung.« Lächelnd erwiderte sie Lady Constances neugierigen Blick. »Ich würde so gern etwas mehr über meine Mutter erfahren.«
»Oh, selbstverständlich, Liebes! Aber noch besser – wir haben eine wundervolle Überraschung für dich. Nicht wahr, William?«
»Allerdings«, bestätigte der Earl. Auch er beobachtete Brianna, die Stirn leicht gerunzelt.
»Bitte, kommen Sie alle mit mir!«, trällerte die Countess und eilte in den Salon voraus, wo ein flackerndes Feuer die Winterkälte vertrieb. Einige Dienstboten deckten den Teetisch, was Brianna kaum wahrnahm. Über dem Kamin hing ein Frauenporträt, das ihre Aufmerksamkeit fesselte, sobald sie den Raum betreten hatte.
Ihr Atem stockte, denn sie starrte – sich selbst an? Nein, nicht ganz, denn nach ein paar Sekunden entdeckte sie kleine Unterschiede, die auf eine andere Person hinwiesen. Doch die frappierende Ähnlichkeit ließ keinen Zweifel an der Identität der Frau, die ihr aus dem Bilderrahmen entgegenblickte. »Meine Mutter«, flüsterte sie.
»Ja, meine Liebe«, bestätigte der Earl. »Dieses Gemälde entstand in dem Jahr, in dem sie deinen Vater kennen lernte. Nachdem die beiden durchgebrannt waren, verschwand es, und wir nahmen an, dein Großvater hätte es vernichten lassen. Aber als Constance und ich hierher zogen, fanden wir das Bild auf dem Dachboden. Und so kehrte es an seinen angestammten Platz zurück.«
»Wie lieb von euch...« Brianna fürchtete, in Tränen auszubrechen. Dann wurde sie von heißer Freude erfüllt. Mit ihrer Mutter – der Frau, die sie zur Welt gebracht und in den nächsten acht Jahren betreut hatte – verband sich plötzlich viel mehr als vage Erinnerungen und das Wispern einer entschwundenen Stimme. Sie hatte wirklich gelebt. In diesem Haus. Jetzt lächelte sie die Tochter an und schien sie zu ermutigen.
»Nun, das war nur recht und billig«, betonte Lady Constance. »Dein Großvater hat sich
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