Insel meines Herzens
Tochter gelehrt hätte, wäre sie nicht viel zu früh dem Leben entrissen worden...
»Wo waren wir, bevor wie in dieses Haus kamen?«, dachte sie laut. Würde das Kind, das sie damals gewesen war, darauf antworten? »Und wohin zogen wir dann?«
»Vielleicht nach Frankreich«, meinte Joanna. »Da dein Vater ein halber Franzose war und dort aufwuchs, fühlte er sich möglicherweise in jenem Land heimischer als hier.«
»Wäre er mit seiner Familie in England geblieben, hätte der alte Earl ihnen wahrscheinlich noch größere Schwierigkeiten gemacht«, gab William zu bedenken. »Einflussreich genug war er ja. Und wie sehr ihn die Heirat erzürnt hat, steht zweifelsfrei fest.«
»Nach Frankreich?« Brianna überlegte, ob dieser Gedanke irgendetwas in ihrer Erinnerung heraufbeschwor. Hatte sie ihre Eltern dorthin begleitet?
»Parles-tu français, Brianna?« , fragte Royce.
»Das weiß ich nicht«, erwiderte sie prompt. »Auf Akora fließt in den Adern einiger Menschen französisches Blut. Aber keiner lebt in der Nähe meines Heims. Und bis vor kurzem unternahm ich keine Reisen. Also habe ich keine Ahnung, ob ich diese Sprache beherrsche.«
Dieser Erklärung folgte allgemeines Schweigen, das Atreus schließlich brach. »Brianna, soeben hat Royce dir eine Frage auf Französisch gestellt. Und du hast sie verstanden.«
»Peut-être tu as parlé anglais avec tes parents« , fuhr Royce fort. »Mais tu as parlé français avec d’autres.«
»Das verstehe ich«, sagte Brianna langsam. Verblüfft runzelte sie die Stirn. »Je comprends...« Gewiss, sie war nach Holyhood gekommen, um etwas über ihre Vergangenheit herauszufinden. Aber weil sich so viel auf einmal offenbarte, wurde ihr fast schwindelig. »Ja, vielleicht lebten wir in Frankreich, und ich sprach mit anderen Leuten französisch, wie du es vermutest, Royce. Zumindest oft genug, um die Sprache einigermaßen zu erlernen. Bemerkenswert... Davon habe ich bisher nichts gewusst.«
»Da siehst du’s!«, triumphierte Lady Constance. »Der Aufenthalt in unserem Haus hilft dir wohl am allerbesten, dein Gedächtnis aufzufrischen.«
»Ganz meine Meinung«, stimmte William seiner Frau zu. »Nachdem du die Dienstboten begrüßt hast – möchtest du das Anwesen besichtigen?« Mit einem Lächeln nickte er den anderen zu. »Natürlich sind Sie alle zu diesem Rundgang eingeladen.«
»Das ist sehr freundlich von Ihnen«, entgegnete Kassandra. »Aber ich muss auf Hawkforte noch so viel für das Weihnachtsfest vorbereiten...«
»Und Amelia laboriert immer noch an einem lästigen Husten«, ergänzte Joanna. Angesichts des sorgenvollen Blicks, den Alex ihr zuwarf, schränkte sie ein. »Oder ich gewann zumindest diesen Eindruck.«
»Jedenfalls hat Brianna keinen Grund, nicht hier zu bleiben«, sagte Kassandra. »Die Dunkelheit wird erst in ein paar Stunden hereinbrechen. Würden Sie unsere Freundin nach Hause bringen, Sir William?«
»Selbstverständlich!«, beteuerte der Earl dankbar. »Wie nett von Ihnen, das vorzuschlagen!«
Gut gemacht, dachte Atreus. Etwas zu offenkundig, aber wirksam... Nun könnte er verkünden, auch er würde das Landgut Holyhood gern besichtigen. Die Launen eines königlichen Besuchers würde man über alle anderen Erwägungen stellen. Doch so verlockend ihm der Gedanke auch erschien, er widerstand der Versuchung. Zweifellos hatten seine Schwester und seine Schwägerin diese Entwicklung der Dinge vorhergesehen und entsprechende Arrangements beschlossen. Mochte er auch wünschen, sie würden weniger unfehlbare Instinkte besitzen – an ihrer Sorge um Brianna gab es nichts zu bemängeln. Beide hatten sie lieb gewonnen. Und sie wollten nur ihr Bestes.
Ebenso wie er selbst... In der Tat, dieses Bestreben fand er mit jedem Tag wichtiger.
An wie viel erinnerte sie sich?
Und seine eigenen Erinnerungen?
»Atreus – die Franzosen! Zum Teufel mit ihnen!«
»Haltet den Kurs, Männer! Der Wind begünstigt uns!«
»Näher – immer näher! Weicht nicht zurück, Krieger von Akora!«
»Feuer!«
Nur Jungen – damals waren sie halbe Kinder gewesen. Aber nach jenem Tag nicht mehr. Nie wieder.
»Atreus?«
Lächelnd begegnete er Briannas Blick, ergriff die gefüllte Teetasse, die Lady Constance ihm reichte, und nippte sogar daran. Obwohl er sich an der Konversation beteiligte, nahm er kaum wahr, was erörtert wurde. Schließlich verließ er Holyhood gemeinsam mit den beiden Ehepaaren.
Doch die Erinnerung, diese gnadenlose Gefährtin, verfolgte ihn, und
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