Insel meines Herzens
ahnte, er hätte sie am liebsten gezwungen, ihn zu begleiten. Verwunderung und eine Dankbarkeit, die ihr fast gefährlich erschien, besiegten ihr Zögern. Was mochte ihr schon drohen, solange er ihre Angst nicht mehr erwähnte?
»Was ist es, Atreus?«
»Das ist schwer zu beschreiben. Sieh’s dir an.« Seine Hand glitt an ihrem Arm hinab, seine Finger schlangen sich in ihre. Mit einem Lächeln, das ihr wieder einmal den Atem nahm, führte er sie über das Deck, die schmale Treppe hinab und durch den Korridor zu seiner Kabine. Bevor sie eintrat, zauderte sie kurz und fühlte sich albern. Doch die Intimität des Raums weckte viel zu glutvolle Erinnerungen.
Da die Ankunft im Hafen immer näher rückte, waren Atreus’ Sachen bereits gepackt, ebenso wie ihre eigenen. Doch eine der Truhen stand geöffnet da. Darin befand sich eine kleine Kassette, die er ihr reichte. »Schau hinein.«
Entschlossen schüttelte sie den Kopf. »Noch mehr Geschenke nehme ich nicht an.«
»Das ist kein Geschenk. Niemals würde ich es weggeben. Du sollst es nur betrachten.«
Erleichtert und neugierig hob sie den Deckel. Das Innere des Kästchens mit Samt ausgekleidet, enthielt eine rosa Marmorstatue.
Die Gestalt einer Frau – von Meisterhand geformt, das erkannte Brianna sofort. Fasziniert nahm sie die Figur aus der Kassette und blickte zu Atreus auf. »Deine Arbeit?«
»Ja, vor acht Jahren habe ich sie gemeißelt. Schau sie dir genauer an.«
Dazu bedurfte es keiner Aufforderung. Welch eine exquisite Statue – so lebensecht, dass sie über die Kälte des Marmors staunte... Das Modell musste er sehr gut gekannt haben, um jede Einzelheit so naturgetreu einzufangen. Jedes winzige akribisch geformte Detail...
Nein, es konnte nicht sein – völlig unmöglich. Trotzdem musste sie glauben, was ihr die eigenen Augen bewiesen – sie hielt ihr Ebenbild in der Hand – eine erschreckend präzise steinerne Kopie ihres Gesichts und ihrer Gestalt. So wie sie jetzt aussah, nicht vor acht Jahren, als die Statue entstanden war.
»Ein Zufall...« In ihrer Verwirrung brachte sie die Worte nur mühsam hervor und klammerte sich daran, als wären sie ein Rettungsanker...
... den Atreus ihr sofort entriss. »Daran glaubst du nicht. Falls du tatsächlich zweifelst, dreh die Figur um.«
Das tat sie, was sie zutiefst bedauerte, sobald sie die beiden Grübchen entdeckte, die sich an der gleichen Stelle zeigten wie ihre eigenen.
Plötzlich schien der eben noch kalte Marmor in ihrer Hand zu brennen. So schnell wie möglich legte sie die Statue in das Kästchen zurück, drückte es in Atreus’ Hände und starrte ihn an. »Das ist gar nicht komisch. Diese Statue hast du in den letzten Wochen geschaffen!«
Behutsam stellte er die Kassette beiseite, ehe er erwiderte: »Da irrst du dich. Vor acht Jahren. Willst du wirklich behaupten, ich würde dich belügen?«
»Nein«, gab sie fast unhörbar zu. Trotz aller Meinungsverschiedenheiten hielt sie ihn für aufrichtig. Nichts anderes würde sein Ehrgefühl gestatten.
»Ich sah dich«, beantwortete er die Frage in ihren Augen. »Vor acht Jahren, als ich mich dem Ritus der Wahl unterzog.«
»Damals hast du mich gesehen?«
»Setz dich«, bat er sanft und rückte ihr einen Stuhl neben dem Tisch zurecht, von dem die zahlreichen Bücher und Schriftrollen verschwunden waren. Sorgsam hatte sein Kammerdiener Castor alle eingepackt. Atreus schob einen zweiten Stuhl heran, nahm Brianna gegenüber Platz und ergriff ihre Hände. »Bei dieser Zeremonie sammelt jeder zukünftige Vanax andere Erfahrungen. Das wissen wir dank der Berichte, die alle Regenten ihren Nachfolgern vererben. Trotzdem gibt es gemeinsame Elemente. Wir – sehen etwas. Anders kann ich es nicht bezeichnen, obwohl wir es aus einem Blickwinkel außerhalb unseres normalen Bewusstseins gewahren. Die Visionen, die vor uns auftauchen, unterscheiden sich. In meinem Fall sah ich die Frau, mit der ich mein Leben teilen werde – dich.«
»Also glaubtest du eine Frau zu sehen, die mir glich.«
»Bis aufs Haar – bis zum präzisen Schwung deiner Brauen, der leichten Asymmetrie zwischen der rechten und der linken Seite deines Gesichts, der exakten Kurve deines Kinns. Und diese beiden zauberhaften Grübchen...« Als sie errötete, fuhr er in sanftem Ton fort: » Dich sah ich, Brianna. Daran besteht kein Zweifel. In jenem Moment wusste ich, wer meine Gemahlin werden sollte. Zum Vanax erwählt, vermutete ich, nun würde ich dich bald finden und heiraten. Darauf
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