Insel meines Herzens
Begeisterung.«
»Weil du den Rat deiner Vorgänger suchtest«, meinte sie verständnisvoll, und Atreus nickte.
»Und weil ich mich plötzlich einsam fühlte, das überraschte mich.« Langsam drehte er sich im Kreis und beleuchtete andere Statuen. »Ein Künstler ist oft allein, dies fördert seine Schaffenskraft. Vorher hatte mich das nie gestört. Aber als Vanax – erlebt man eine andere Art von Einsamkeit, und es fiel mir schwer, mich daran zu gewöhnen.«
Die Vorstellung, welches Unbehagen ihm die neue Position bereitet hatte, bewegte Briannas Herz. Wenige Wochen zuvor hätte sie sich gesagt, es sei sein freier Wille gewesen, den Ritus der Wahl auf sich zu nehmen. Aber wie sie jetzt erkannte, machte es keinen Unterschied. Was immer er beschlossen hatte, es änderte nichts an den Forderungen, die er erfüllen musste.
Während sie darüber nachdachte, erregte eine andere Statue ihre Aufmerksamkeit. »Ist das eine Frau?«
»Ja, sie hieß Demetre.«
»Die Gemahlin eines Vanax?« Das würde erklären, warum ihr Denkmal in einem Raum stand, der alle einstigen Herrscher von Akora ehren sollte.
»Nein, sie war eine Priesterin und anerkannte Lehrerin. Auch deine Tante Elena wird man eines Tages mit einer Statue würdigen.«
»Wundervoll, sie ist eine außergewöhnliche Heilerin.«
»Sie will gar nicht verewigt werden. Vielleicht kannst du sie umstimmen.«
Langsam wanderten sie durch den Raum. Am anderen Ende spürte Brianna, wie der Steinboden unter ihren Sandalen in Erdreich überging. Überrascht blickte sie in eine riesige Höhle, die vom Lampenlicht nur schwach erhellt wurde. Aus dem Boden wuchsen kristalline Kegel, andere hingen vom Gewölbe herab, in schimmerndem Weiß, Rosa, Grün und Blau. Anscheinend teilten sie den Raum in mehrere Passagen, und alle führten zum massiven Felsblock im Zentrum. Darauf glaubte sie, einen großen roten Kristall zu erkennen, der einem Rubin glich. Aber – gab es so große Rubine?
Danach konnte sie nicht fragen, denn sie durchwanderten die Höhle und betraten einen Korridor mit Felswänden. An seinem Ende sah sie einen eigenartigen Glanz. Als sie näher kamen, leuchtete er immer heller, und die Laterne war überflüssig.
»Hier leben winzige Geschöpfe«, erklärte Atreus und stellte die Lampe beiseite. »Die klammern sich an den Fels, und ihre Körper produzieren dieses Licht.«
»Wo sind wir?« Brianna sah den Widerschein von Wasser und seltsamerweise – einen Strand. Sie ging darauf zu, und die Luft erwärmte sich, Dampfwolken wehten ihnen entgegen. Verwundert schnupperte sie, denn der Dampf roch salzig.
»Dieser Fluss ist mineralisch angereichert, und er wird von einer unterirdischen heißen Quelle erhitzt«, sagte Atreus. »Da das Wasser trinkbar ist, nehmen wir an, es hat die Menschen am Leben erhalten, die nach dem Vulkanausbruch hierher geflohen sind. Aber es gibt noch eine andere Wasserquelle.« Er zeigte auf ein kleines Gebäude, eine Säulenreihe, die ein Spitzdach stützte. Unheimlich schimmerte es im seltsamen Licht.
»Ist das ein Tempel?«, fragte Brianna.
Atreus nickte. »So unglaublich es auch erscheinen mag – dies alles befand sich auf der Erdoberfläche, in Küstennähe. Es war ein heiliger Ort. Hier versammelten sich die Menschen, um Schutz vor den Lavaströmen zu suchen. Vielleicht wollten sie ihnen auch an Bord mehrerer Schiffe entrinnen. Dazu fanden sie keine Gelegenheit. Der Chronik zufolge explodierte der Vulkan immer wieder, wühlte den Boden bis in ungeahnte Tiefen auf und zerriss die Insel. Dieser Ort wurde buchstäblich in die Erde hineingeschoben – zweifellos ein grausiges Erlebnis für alle, die sich zufällig hier aufhielten. Doch es rettete ihr Leben.«
»Kaum zu fassen, dass irgendjemand die Katastrophe überstanden hat...« Was mussten diese Menschen durchgemacht haben? Und wie hatten sie sich danach in ihrer völlig zerstörten Welt zurechtgefunden?
»Das dachte ich auch, bis ich vor acht Jahren hierher kam.«
»Vor acht Jahren?«, wiederholte sie, und ihre Augen verengten sich. »Zum Zeitpunkt deiner Wahl.«
»Ja, an dieser Stelle.«
»Aber...«
Warum führte er sie hierher? Noch erstaunlicher – wieso durften alle Akoraner diesen legendären Ort aufsuchen?
Offenbar erriet Atreus den Grund ihrer Verwirrung. »Ich möchte, dass du es verstehst«, sagte er leise und zog ihre Hand, die er immer noch festhielt, an seine Lippen. Ein federleichter Kuss streifte ihre Finger.
Ȇber das Ritual sollst du so viel erfahren, wie
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