Insel meines Herzens
Nase stiegen, und ihr Magen begann zu knurren. Sie entdeckte Hühnerbrüstchen in Senfsahne, frischen grünen Salat, mit Weinessig und Kümmel angemacht, knusprige Brötchen mit Walnüssen und Rosinen, gebratene Süßkartoffeln und eisgekühlten Vanillepudding in hohen Bechergläsern, mit frisch geriebenem Muskat bestreut. »Das – und das da – etwas von dem... Oh, einfach alles!«
Lachend füllte er zwei Teller und goss leichten Weißwein, den Brianna misstrauisch musterte, in Kristallkelche. Eine Karaffe enthielt Wasser mit Eiswürfeln. Während sie sich ein Glas einschenkte, wurde sie von Atreus abgelenkt. Seine Nähe, sein nackter Körper, sein Lächeln, die betörenden Erinnerungen, die er weckte...
»Oh...« Ein bisschen Wasser rieselte über ihre Hand auf das Bett. Hastig ergriff sie eine Serviette und betupfte das feuchte Leintuch, was Atreus ebenfalls tat. Dabei streiften seine Finger ihre Hand, und sie schauten sich an.
»Schon gut«, sagte er sanft.
»Gar nichts ist gut. Sobald du mir unsere Heirat angekündigt hast, wäre ich verpflichtet gewesen, mein Geheimnis zu verraten.«
»Du bist und bleibst die Frau, die mir bestimmt ist. Davon bin ich nach wie vor überzeugt, und das wird sich auch nicht ändern.«
»Oh Atreus...« Seine Güte trieb ihr Tränen in die Augen, die er behutsam von ihren Lidern wischte.
An der Spitze seines Zeigefingers hingen glänzende Tropfen. »Iss jetzt«, schlug er mit belegter Stimme vor. »Danach will ich dir etwas zeigen.« Ohne eine nähere Erklärung abzugeben, erhob er sich, ging zu einer Truhe und nahm eine Tunika heraus.
Kurze Zeit später folgte sie ihm aus seiner Suite, mit einem Hemd bekleidet, das er in England getragen hatte und das ihr bis zu den Knien reichte. Sie gingen den Korridor im Privatflügel des Palastes entlang bis zu einer schmalen Tür, die Atreus öffnete. Auf der obersten Stufe einer Wendeltreppe ließ er Briannas Hand nur lange genug los, um mit Flint und Zunder eine Laterne in Brand zu stecken, die an einem Wandhaken hing.
Die Lampe in der einen Hand, Briannas Finger in der anderen, wandte er sich zur Treppe.
»Wohin führst du mich?«, fragte Brianna.
»In die Höhlen unter dem Palast. Neulich sagtest du, davon hättest du gehört.«
Ja, sie hatte von mysteriösen Ritualen munkeln hören, wozu auch die Vanax-Wahl zählte. Niemandem war es verboten, die Höhlen aufzusuchen, und soviel sie wusste, hatten sich schon einige Leute hinabgewagt. Auch sie hatte mit diesem Gedanken gespielt, ihn aber niemals in die Tat umgesetzt. Nun fragte sie sich, was sie daran gehindert hatte. Fürchtete sie, in der unterirdischen Welt irgendetwas zu entdecken, mit dem sie nicht konfrontiert werden wollte? Etwas, das ihre Sicht der Dinge, die wirklich oder unwirklich waren, vielleicht ändern würde?
Vor dem Dunkel bangte ihr normalerweise nicht, und in beengten Räumen hatte sie noch nie Platzangst verspürt. Trotzdem war sie froh über Atreus’ Laterne und noch dankbarer für seine warme Hand, die ihre umschloss. Während sie hinabstiegen und – wie Brianna vermutete – das Erdgeschoss des Palastes passierten, wurde die Luft feuchter und kühler.
Schließlich erreichten sie den Fuß der Treppe und, soweit sie es jenseits des Lichtes feststellen konnte, einen großen Raum. Sekunden später hielt sie den Atem an, taumelte einen Schritt zurück und starrte ins Gesicht einer Statue, so lebensnah gemeißelt, dass sie zunächst geglaubt hatte, ein lebendiger Mann würde vor ihr stehen.
»Darf ich dir Thaddeus vorstellen?« Lächelnd wandte sich Atreus zu ihr. »Vor etwa sechshundert Jahren war er der Vanax von Akora.«
Ein strenges und zugleich barmherziges Gesicht, dachte sie. »Wie hat er das Land regiert?«
»Ganz gut, obwohl er das Amt nicht übernehmen wollte und anscheinend niemals vollends akzeptierte.«
»Wie wäre das möglich? Ist nicht jeder Vanax ein Erwählter?«
»Gewiss, aber wir gleichen uns nicht. Manche finden sich mit ihrer Position leichter zurecht als andere.« Atreus hob die Laterne und beleuchtete eine weitere Statue. »Zum Beispiel genoss Praxis, der Vanax vor ungefähr zweitausend Jahren, den Thron in vollen Zügen. Kein Zögern, keine Zweifel, kein Bedauern. So war Praxis.«
»Kennst du sie alle?«, fragte Brianna und betrachtete ein heiteres steinernes Gesicht.
»Jeden Einzelnen. Wir hinterlassen unseren Nachfolgern private Berichte. In den ersten beiden Jahren, nachdem ich Vanax geworden war, las ich sie mit
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