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Insel zweier Welten: Roman (German Edition)

Insel zweier Welten: Roman (German Edition)

Titel: Insel zweier Welten: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Geraldine Brooks
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wütend und aufgewühlt, und meine Schritte waren schnell, weil ich es kaum erwarten konnte, der Frau gegenüberzutreten. Doch irgendwann auf halbem Wege wurde ich langsamer und blieb schließlich stehen, weil mir dämmerte, dass mein Vorhaben ziemlich sinnlos war. Ich dachte an Goody Marsden zurück, an ihre harten Züge, ihre rauen und schmutzigen Hände, an die Unfreundlichkeit, ja, Grobheit, mit der sie mit Anne umgegangen war. Mir war mit einem Mal vollkommen klar, dass sie ihre falsche Einschätzung, was auch immer dahinterstecken mochte – ob schlechtes Sehvermögen, Unfähigkeit oder Bosheit –, nicht widerrufen würde. Und mein Wort zählte nichts im Vergleich zu ihrem. Bei niemandem. Selbst beim Master war ich mir nicht sicher, was er davon hielt. Folglich war es besser, Anne wegzuschaffen, weg von den Lügen und Verleumdungen. Ich kehrte in die Crooked Street zurück und suchte nach dem nächstgelegenen Wirtshaus. Davon gab es drei in der Stadt, und in einem davon musste Noah Merry abgestiegen sein.
    Zuerst kam ich am Blauen Anker vorbei, nahm meinen ganzen Mut zusammen und ging hinein, ohne auf die Blicke der grobschlächtigen Männer und liederlichen Jünglinge zu achten, die dort über ihren Schnapsgläsern hockten. Doch das Glück war mir hold, denn gerade als ich mich an den Wirt wenden wollte, kam Noah Merry die Treppe herunter und schien fast zu erschrecken, als er mich an einem solchen Ort sah. Ich schätze, er bemerkte das Unbehagen in meinem Gesicht, denn er reichte mir einen Arm, führte mich auf die Straße hinaus, und erneut liefen wir nebeneinander her.
    Ganz rasch und mit so viel Selbstherrschung, wie ich nur aufbringen konnte, schilderte ich ihm die ganze schändliche Geschichte. Sein freundliches, offenes Gesicht wurde auf einmal sehr verschlossen, und als er das Wort ergriff, tat er es mit einem tief verwurzelten Ärger, den ich bei ihm gar nicht vermutet hätte. Mir kam erst jetzt der Gedanke, dass er sich gerade auf Grund der Offenheit seines Charakters und seiner klaren, unverbildeten Art von dem doppelzüngigen und verlogenen Verhalten abgestoßen fühlte, das sich in Annes Los offenbarte. Ganz offensichtlich widerte es ihn an, dass ausgerechnet diejenigen, die sich an die Spitze unserer Gesellschaft setzten – jene »lebenden Heiligen«, wie sie sich selbst titulierten – in Wirklichkeit Wölfe im Schafspelz waren, deren wahres Treiben zum Himmel stank. Auch wenn er es nicht in diese Worte fasste, war dies der Grundtenor seiner Reaktion, und als ich ihn um Hilfe bat, willigte er sogleich ein.
    »Ich denke, Iacoomis sollte man da nicht mit hineinziehen«, sagte er, als ich ihm mitteilte, mein Plan sei es, das Mädchen zu ihm zu bringen. »An ihn würde man als Allererstes denken, wenn der Verdacht aufkäme, dass sie auf die Insel geflohen ist, und man sie tatsächlich dort suchen würde. Was nicht unbedingt der Fall sein muss. Wie du sagst, können diejenigen, die für all das verantwortlich sind, durchaus auch die sein, in deren Macht es steht, die Sache fallen zu lassen. Schreib jedenfalls nicht an Iacoomis wegen des Mädchens. Er sollte besser gar nicht wissen, wo sie sich aufhält, dann kann man ihn auch nicht dazu zwingen, ihren Aufenthaltsort preiszugeben. Auch Manitouwatootan ist, denke ich, kein guter Platz für sie. Dort gibt es zu viele, die Geschäfte mit den Engländern machen, und es könnte im Gespräch leicht eine Bemerkung über ihre Anwesenheit fallen.«
    Ich war beeindruckt von Merrys vernünftiger Reaktion und dem kühlen Kopf, den er bewahrte, während er weiterredete. »Ich denke, es ist besser, wenn ich sie mit zu uns nach Hause nehme, und von dort aus zum sonquem der Takemmy bringe. Seine Familie wird sie unter ihre Fittiche nehmen, daran habe ich keinen Zweifel, und die Leute aus seinem otan haben nur wenig Kontakt nach Great Harbor außer über meine Familie. Wir stehen auf gutem Fuß mit ihnen, Bethia. Es ist so, wie dein Vater es sich immer gewünscht hat – bei uns wäscht eine Hand die andere. Wenn die Indianer uns Land überlassen, bemühen wir uns, ihnen dafür einen anständigen Gegenwert zu verschaffen, sei es, dass wir ihren Mais mahlen, ihnen Eisenwaren geben oder sie mit unseren Fähigkeiten unterstützen.«
    »Wenn es nur alle Familien so handhaben würden«, sagte ich. Doch in diesem Moment war mein Interesse an den Beziehungen der Menschen auf der Insel nur begrenzt. Vor meinem inneren Auge sah ich den sonquem der Takemmy und sein großes

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