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Insel zweier Welten: Roman (German Edition)

Insel zweier Welten: Roman (German Edition)

Titel: Insel zweier Welten: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Geraldine Brooks
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wenn die Gerechtigkeit es erforderte, hatten die Aldens in ihrer Ablehnung seiner Führerschaft ins Feld geführt. Doch Merry versicherte mir, bislang habe ihre Sache nur wenige Anhänger gefunden. »Die meisten sind es vollauf zufrieden, deinem Großvater die Verantwortung für die Dinge zu überlassen. Und wir streben auch nicht wie die Aldens danach, wegen jedem Zaunpfahl oder jedem Maiskolben eine Sitzung einzuberufen.«
    Doch unser Gespräch war steif, weil wir im Geiste beide gerne rasch zu dem Thema übergegangen wären, das uns beiden im Grunde am meisten am Herzen lag. Gerade waren wir am Friedhof angelangt, welcher das nördliche Ende der Siedlung kennzeichnete. Dahinter lagen nur noch Viehkoppeln, und man hatte einen weiten Blick auf das Marschland und die verwilderten Haine aus Sumpfkiefern, die man hier als Wald bezeichnete. Dort bogen wir ab und waren schon fast an dem Wachturm angelangt, der die äußerste Begrenzung der Siedlung markierte, als Merry mitten im Satz stehen blieb und sich mit der Hand über die Stirn fuhr. Sie war schweißbedeckt, obwohl es ein kühler Tag war.
    »Ich musste einfach persönlich herkommen«, platzte er heraus. »Mein Gewissen ließ es nicht anders zu.«
    »Dein Gewissen?«, fragte ich überrascht.
    »Bethia – wenn ich dich so nennen darf –, wie du weißt, war es lange Zeit die Idee unserer Väter, dass wir … dass du und ich … eines Tages heiraten sollten, und wie du sicher weißt, oder wie du wissen solltest, war es lange Zeit auch mein glühendster Wunsch …«
    »Noah, ich …«
    »Bitte. Das hier ist schwierig. Lass mich doch bitte erst einmal ausreden. Um mich kurz zu fassen: Seit du die Insel verlassen hast, hat meine Zuneigung sich in eine andere Richtung gewandt. Vater wusste nichts davon, und jetzt begreife ich, wie falsch es war, mich in der Sache niemandem anzuvertrauen – ich hätte von Anfang an reinen Tisch machen und ihm alles sagen sollen, doch das tat ich nicht, da die betreffende Dame sogar noch jünger als du und noch nicht im Alter für ein Heiratsversprechen ist. Als dann kürzlich dein Großvater zu meinem Vater kam … nun, meinem Vater gefiel der Vorschlag deines Bruders, und er nahm ihn an, ohne mich vorher zu fragen, weil er dachte, ich würde mich darüber freuen, auf diese Weise früher das zu bekommen, worauf zu warten ich mich beschieden hatte. Du kannst dir vorstellen, wie armselig ich mich fühlte, als er mir das mitteilte. Erst in jenem Moment eröffnete ich ihm, es sei ein anderes Band der Zuneigung geknüpft worden zwischen mir und – oh, Bethia, es tut mir so leid –, aber nachdem du weg warst und, offen gestanden, bereits zuvor, hegte ich gewisse Zweifel, dass du meine Gefühle in irgendeiner Weise erwiderst. Ich war mir nie sicher, ob du überhaupt etwas für mich übrighattest, oder ob du nur den freundlichen Nachbarn in mir sahst, und als dann Tobia … ich sollte besser sagen, die jüngere Tochter der Talbots …«
    »Tobia Talbot? Aber das ist wundervoll, Noah! Ich wünsche euch beiden viel, viel Glück.« Die Talbots waren nur etwa ein Jahr, bevor ich aufs Festland gezogen war, auf die Insel gekommen, und ich kannte sie nicht gut, doch ich erinnerte mich dunkel an ein überaus fröhliches und tüchtiges Mädchen, ein Jahr jünger als ich, von zugänglicher und offener Art, mit einer hübschen Gesangsstimme, die man bei den Gottesdiensten heraushören konnte und auch manchmal vernahm, wenn sie bei der Arbeit, sobald sie sich allein glaubte, vor sich hin trällerte.
    Noah blieb mitten im Schritt stehen und schaute mich mit fragend gerunzelter Stirn an. »Du bist also nicht … ich meine, du wolltest gar nicht …«
    »Mein lieber Freund«, sagte ich. »Ich freue mich von ganzem Herzen für dich, und wünsche euch beiden nur das Allerbeste.«
    In seinem Gesicht, das vor Anstrengung ganz verkniffen gewesen war, zeigte sich auf einmal wieder die vertraute heitere Liebenswürdigkeit. Überschwänglich riss er sich den Hut vom Kopf, warf ihn in die Luft und fing ihn wieder, wozu er noch eine tiefe Verbeugung vor mir machte. »Ich kann dir gar nicht sagen, was mir das bedeutet«, sagte er. »Oft lag ich wach, wartete auf das Schiff, das mich hierherbringen würde, und fürchtete mich vor diesem Tag, an dem ich dir doch, wie ich glaubte, solchen Schmerz zufügen würde.« Er griff in seine Jacke und zog eine Pergamentrolle hervor. »Dann kann ich dir jetzt das hier gleich als Geschenk überreichen, und nicht, wie ich dachte, als

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