Insel zweier Welten: Roman (German Edition)
Ansichten sogar eingesperrt worden – so rigoros war man unter Karl I. mit aufklärerisch gesinnten Menschen umgegangen. Als er wieder freikam, hatte er ein Schiff in die Kolonie von Plimouth genommen und dort eine Weile als Pfarrer gearbeitet. Irgendwann war er dann auch hier mit seiner Gemeinde über Kreuz geraten, diesmal aus eher praktischem Anlass, denn er hatte darauf bestanden, Kinder bei ihrer Taufe komplett unterzutauchen. Die Eltern, die ganz zu Recht darüber besorgt waren, dies könne in einem eisigen Winter in Plimouth ihren Kindern nicht gerade zuträglich sein, hatten ihre Zustimmung verweigert. Gerade hatte er sich mit dem Gedanken getragen, wieder nach England zurückzukehren, als der Vorstand von Harvard ihm eine Stelle als Präsident des College angeboten hatte. Es gab nur eine einzige Bedingung, da man sich gerade erst von dem früheren Präsidenten Dunster wegen seiner anabaptistischen Haltung getrennt hatte: Chauncy würde seine Ideen zum Eintauchen der Kinder bei der Taufe für sich behalten müssen. Da man von College-Präsidenten im Allgemeinen nicht erwartete, dass sie Taufen vollzogen, war es ihm bisher gelungen, sich an diese Bedingung zu halten.
»Welche Fälle regieren die Verben ›bewundern‹ und ›verachten‹?«
»Genitiv und Dativ.«
»Gut. Dann erläutere mir noch die Bildung des ersten und zweiten Aoristen …«
Und so ging es weiter. Bei jeder von Calebs selbstsicheren Antworten nickte Chauncy.
»Ich muss sagen, mein Kollege Corlett hat dich für das College gründlich gerüstet. Ausgesprochen gründlich. Ich gebe zu, dass ich trotz der Begeisterung deines Masters meine Zweifel hatte, ob jemand deines … deines Hintergrundes wirklich bereit wäre, in diese besondere Erstsemesterklasse aufgenommen zu werden. Du wirst hier inmitten von Nachkommen der edelsten Familien unseres Landes studieren. In deinem Jahrgang haben wir bereits Benjamin Eliot, den jüngsten Sohn unseres geliebten Predigers, sowie ein weiteres Nesthäkchen, nämlich Joseph Dudley, den jüngsten Sohn unseres verstorbenen Gouverneurs aufgenommen – aber Letzteren kennst du natürlich bereits aus Corletts Schule. Dann gibt es noch Edward Mitchelson, den Sohn des Marshalls, und Hope Atherton, den Sohn eines bedeutenden Generals. Liberi liberaliter educati. Ich kann wohl davon ausgehen, dass du weißt, was das heißt.«
»Gentlemen, zu Gentlemen erzogen«, erwiderte Caleb.
»Sehr gut. Es wird sich noch zeigen, ob jemand wie du ebenfalls zu einem Gentleman erzogen werden kann.«
»Hic labor hoc opus est.«
Ich spürte, wie mir das Blut im Schädel pochte, und versuchte, aus Calebs Verhalten schlau zu werden. Während er diesen letzten Satz sprach, hatte seine Miene vollkommen aufrichtig gewirkt, doch etwas an seinem Ton sagte mir, dass er mit dem aufgeblasenen Universitätspräsidenten Katz und Maus spielte. Wie er dort aufrecht in seinem Stuhl saß, mit der ganzen Würde, die ihm in die Wiege gelegt worden war, sah er viel eher wie ein Gentleman aus als der ungepflegte alte Chauncy mit seinen gebeugten Schultern, dem schmuddeligen Kragen und dem fadenscheinigen, zerknitterten Talar. Die Wäscherin des College hatte ich noch nicht kennengelernt, doch ich hatte den Eindruck, sie könne im Gebrauch von Bleichmittel und Bügeleisen durchaus Nachhilfe gebrauchen. Samuel Corlett hatte mir gesagt, Charles Chauncy sei in der Tat von edler Herkunft und stamme aus einer alten Familie mit Grundbesitz in Hertfordshire. Bei seinen beiden Abschlüssen am Trinity College in Cambridge war er Jahrgangsbester gewesen, doch aus seinem Äußeren hätte man dies niemals geschlossen.
Die altersfleckige Hand des gelehrten Mannes zitterte. »Hiermit überreiche ich dir eine unterzeichnete Kopie meiner Admittatur sowie natürlich eine lateinische Ausgabe der Regeln, die hier am College zu befolgen sind. Deine erste Aufgabe als Student in diesem Hause ist es, diese abzuschreiben. Führe deine Kopie stets bei dir, und halte dich daran. Der Küchenmeister wird dir dabei helfen, deine Habseligkeiten hinüber ins Indian College zu bringen und dich mit einem Rock und einem Barett ausstatten. Denk daran, das Barett zu deiner ersten gemeinsamen Mahlzeit zu tragen.« Er wandte sich an den Schreiber. »Die älteren Studenten machen sich gerne einen Spaß mit den Neuankömmlingen und schicken sie ohne Kopfbedeckung hinein.« Er wandte den Blick wieder Caleb zu. »Lass dich von ihnen nicht beeinflussen. Bei Tisch sitzen nur diejenigen
Weitere Kostenlose Bücher