Insel zweier Welten: Roman (German Edition)
Erstsemester einem älteren Studenten als Laufbursche zu dienen. Die höheren Semester straften ihn dafür auf verschiedene Weise, indem sie seine Notizen beschmutzten oder seine Schreibgeräte verschwinden ließen. Einmal versteckten sie sein Barett, weil sie dachten, dann müsse er ohne Kopfbedeckung zum gemeinsamen Essen erscheinen und sich verhöhnen lassen. Doch hier unterschätzten sie ihn. Er sammelte einfach ein paar trockene Grashalme im Garten und wob sie zu einer akzeptablen Mütze. Als klar wurde, dass keiner ihrer Ränke ihn auch nur im Geringsten demütigen konnten, wurden es die höheren Semester irgendwann leid, ihn zu schikanieren, und sie hielten, wie es bei so gesinnten Jünglingen eben ist, Ausschau nach einem leichteren Opfer.
Ich war nicht die Einzige, die sah, dass die Dinge diese Entwicklung genommen hatten. Der junge Dudley, der stolzeste aller Erstsemester, und Benjamin Eliot, der auch eifersüchtig auf seine eigene Position bedacht war, hatten schon bald bemerkt, dass Caleb weder einem höheren Semester zu Diensten war, noch allzu sehr unter dieser Situation zu leiden hatte. Auch sie begannen sich jetzt gegen die Regelung aufzulehnen, und schon bald war eine Art Rebellion im Gange. Irgendwann nahm eine Delegation der Aufmüpfigen, angeführt von Dudley, ihren ganzen Mut zusammen und brachte ihre Bedenken bei Chauncy vor. Er hörte ihnen zu, dachte eine Weile nach und erklärte den alten Brauch schließlich für abgeschafft.
Dieses Ergebnis führte dazu, dass Caleb bei einigen der Erstsemester deutlich im Ansehen stieg, besonders als Dudley ihm für seine Vorreiterrolle öffentlich dankte. Ganz langsam begann ein Student nach dem anderen, Calebs Hautfarbe außer Acht zu lassen und stattdessen den Menschen darunter zu sehen. Und indem sie Caleb akzeptierten, wurde auch Joel allmählich angenommen, denn die beiden standen sich damals bereits so nahe, dass einer ohne den anderen undenkbar war. Freundschaft entstand nicht von heute auf morgen, doch irgendwann kam sie doch.
Indes hatten die beiden in jenen ersten Monaten noch einen anderen, härteren Kampf auszufechten. Dieser betraf den Tutor, den Chauncy für ihre Betreuung bestimmt hatte, einen erst kürzlich eingetroffenen Absolventen des Trinity College namens Seward Milford. Der Mann war ein trunksüchtiger Tunichtgut, der Indianer nicht mochte und diese Position nur übernommen hatte, weil sie besser bezahlt war als die anderen Tutorenstellen. Caleb und Joel setzten alles daran, so viel wie möglich zu lernen, während er all den Vergnügungen und Zerstreuungen nachging, die die Stadt zu bieten hatte. Wenn sie am Morgen nach der Vorlesung zu ihm ins Zimmer kamen, lag er oft noch im Bett und beschimpfte sie wild, weil sie ihn in seiner Nachtruhe gestört hatten. Statt sie auszubilden, wie es seine Aufgabe war, versuchte er, sie zu allen möglichen Ausschweifungen anzustiften. Er schmuggelte Schnaps in das Indian College und nannte sie abfällig Memmen und Feiglinge, wenn sie sich weigerten, an seinen Zechereien teilzunehmen.
Ich war entsetzt und bekümmert, als ich eines Nachts meine Notdurft verrichtet hatte und auf dem Rückweg ins Haus eine wankende Gestalt im Dunkeln sah, in der ich Caleb erkannte. Er torkelte von Baum zu Baum, blieb schließlich stehen und hielt sich schwankend an einer jungen Eiche fest, um sich lautstark zu übergeben. Ich lief zu ihm, um ihm zu helfen, weil ich hoffte, ihn rechtzeitig auf sein Zimmer zurückbringen zu können, bevor ihn jemand dabei erwischte, wie er ein halbes Dutzend Collegeregeln brach, auf die allesamt als Strafe eine Tracht Prügel stand.
»Psst!«, sagte ich. »Keinen Mucks.« Er schwankte, und ich dachte, gleich würden wir alle beide hinfallen. Dann hörte ich hinter mir einen Zweig knacken und drehte mich ängstlich um, doch zum Glück war es nur Joel, der seinem Freund ebenfalls zu Hilfe eilen wollte. Irgendwie gelang es ihm, Caleb die Treppe hochzubugsieren, ihm das Gesicht von Speichel und Auswurf zu säubern und ihn zu Bett zu bringen, bevor ein anderer Student wach wurde, der das Vergehen wahrscheinlich nur allzu gern den College-Oberen hinterbracht hätte. Am nächsten Tag schleppte sich ein bleicher Caleb mit blutunterlaufenen Augen in die Klasse und zuckte jedes Mal zusammen, wenn jemand quietschend seinen Stuhl über den Boden zog oder allzu geräuschvoll ein Buch auf den Tisch fallen ließ.
Einige Tage später entschuldigte er sich bei mir.
»Aber warum hast du das
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