Insel zweier Welten: Roman (German Edition)
sie nach seiner Gnade ausstrecke.«
Wir waren an der Tür angelangt, und ich hob den Riegel, um ihn einzulassen. Die anderen rührten sich jetzt auch. Makepeace hielt Solace, die aufgewacht war, in den Armen, und ich nahm sie ihm ab, gab ihr etwas Sauermilch und fragte mich, was wohl Vater von unserem Gespräch gehalten hätte. Den ganzen Morgen, während ich meiner Arbeit nachging, dachte ich über dieses Zusammenfließen zweier Glaubensrichtungen nach, die doch auf den ersten Blick unvereinbar schienen, und ich fragte mich, ob man die Vorstellungen der Rothäute wirklich in Einklang mit unseren strengen Grundsätzen bringen konnte. Wie leicht hatte Caleb die Lehren aus seiner Jugend – die vielen Götter, die belebte Geisterwelt – genommen und sie nach unseren Glaubensvorstellungen umgeformt. Und Vater, so schien es, war damit zufrieden.
Später an jenem Tag, als die Männer von ihren morgendlichen Arbeiten zurückkamen, setzte ich ihnen ein Mittagessen vor und räumte anschließend den Tisch ab, an dem, wie Vater verkündet hatte, der Unterricht stattfinden würde. Danach verließ ich das Haus für die Feldarbeit, die begann, sobald der Boden getaut und die Erde ein wenig getrocknet war. Wie allgemein bekannt, muss man Erbsen bei Neumond pflanzen, und so stand ich über das Feld gebeugt und wendete emsig kalte Erdschollen, während Iacoomis Joel brachte, der am Nachmittagsunterricht meines Vaters teilnehmen sollte. Ich hoffte, dass Caleb seine oft bekundete Ablehnung gegenüber Iacoomis und seinem Sohn überwinden und sein Gesinnungswandel ihn dazu bringen würde, die beiden mit anderen Augen zu betrachten. Es war schon seltsam, dass wir, die wir früher so leichthin und so lange über alle möglichen Themen und Angelegenheiten gesprochen hatten, nun nichts mehr miteinander reden konnten, was über einen raschen Gedankenaustausch in einem unbeobachteten Moment oder über ein paar Allgemeinplätze in Gesellschaft anderer hinausging. Obwohl wir unter einem gemeinsamen Dach lebten, war die Distanz zwischen uns so groß, als hätte es die Jahre unserer Freundschaft nicht gegeben.
Während das Licht dahinschwand und die Kälte durch meine Holzpantinen drang und meine Frostbeulen zum Pochen brachte, kehrte ich nach Hause zurück, wo Solace von ihrem Nickerchen erwacht war und sich leise quengelnd die Augen rieb. Als sie mich sah, lächelte sie fröhlich und streckte die Arme aus. Ich hob ihren kleinen, vom Schlaf noch ganz trägen und warmen Körper aus dem Bettchen, drückte mein Gesicht in ihre weiche Halskuhle und pustete ganz sanft, bis sie laut lachte. Ich nahm einen Becher mit warmer Milch, den ich bereits zubereitet hatte, und trug sie in den angrenzenden Raum, den wir Speisekammer nannten, obwohl auch »Werkzeugkammer« oder »Hühnerstall« passende Namen gewesen wären, denn wir hatten hier ein paar Stangen eingezogen, auf denen das Geflügel sitzen konnte, wenn es im Stall draußen zu kalt wurde. Ich legte einen alten Mehlsack auf den Lehmboden und setzte Solace darauf ab, gab ihr eine Holzpuppe zum Spielen, die Makepeace für sie geschnitzt hatte, und machte mich ans Abseihen der Molke.
Auch wenn ich leise ein Lied für Solace sang, war es doch unmöglich, das zu überhören, was auf der anderen Seite der dünnen Wand vor sich ging. Makepeace quälte sich durch eine Übersetzung von Quintus Mucius Scaevola und verhunzte gerade die vierte Konjugation. Vater war mit seinen Korrekturen sogar noch nachsichtiger als gewöhnlich, weil er Makepeace vor Joel und Caleb offenbar nicht bloßstellen wollte. Als Makepeace zum Ende der kurzen Passage gelangt war, forderte Vater die Jungen auf, die ersten Deklination von vita und mensa aufzusagen, die sie hatten lernen sollen, und beide kamen gut damit zurecht. Ich hörte, wie Vater den Unterschied zwischen den lateinischen und den englischen Formen hervorhob: »Wir sagen, ›ich schlage ihn‹ und nicht ›ich schlage er‹, weil wir die Person, die schlägt, in den Nominativ setzen. Doch nur sehr wenige Wörter in dem heute gesprochenen und geschriebenen Englisch besitzen einen Akkusativ, der sich vom Nominativ unterscheidet. Im Lateinischen hingegen …«, und dachte mir, dass er den Jungen ziemlich viel abverlangte. Zumindest Caleb hatte ja keine formellen Kenntnisse der englischen Grammatik, und dennoch sollte er die Besonderheiten des Lateinischen (auf das später Griechisch und Hebräisch folgen würden) beherrschen.
Da ich nicht stören wollte, ging ich
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