Insel zweier Welten: Roman (German Edition)
meine Anstrengungen für ihn in irgendeiner Weise zu diesem Erfolg beitragen werden. Wenn ich mich zu dieser Sklaverei verpflichte, so wie du es nennst, dann tue ich es nur für Gott. Ich gehe nach Cambridge aus dem gleichen Grund wie du. Weil ich glaube, dass Gott es will.«
»Ich verstehe dich nicht, Sturmauge.«
»Caleb, bitte. Nenn mich nicht bei diesem Namen. Wir sind keine Kinder mehr, die hierhin und dorthin laufen können, als wäre die Insel eine Art Garten Eden. Wenn es einmal so war, dann sind seine Tore längst für uns geschlossen. Jenes Leben ist ein für alle Mal vorbei.« Er schaute mich kurz an und wandte dann wieder den Blick ab. Ich hätte nicht zu sagen vermocht, ob meine Worte ihn verblüfft oder gekränkt hatten. Ich ließ meine Stimme sanfter werden und berührte ihn leicht am Arm. »Du hast mir einmal beigebracht, dass Namen einen, vielleicht auch zwei Sommer zu gebrauchen seien und dann dahinwelken. Der Sommer von Sturmauge ist vorüber. Es ist Zeit für uns beide, nicht mehr zurückzuschauen, sondern uns den Aufgaben zuzuwenden, die vor uns liegen. Vor langer Zeit habe ich dir einmal gesagt, dass Bethia ›Gottes Dienerin‹ bedeutet. Das ist es, was ich sein will, Caleb. Jetzt ist es der richtige Name für mich. Nenn mich so, wie es einem gebührt, der mein Bruder ist.« Er sagte nichts, hielt nur den Blick weiter aufs Meer gerichtet. Ich empfand das große Bedürfnis, alles zwischen uns ehrlich und offen auszusprechen, denn, wie er anfangs gesagt hatte, gab es für uns nur noch wenig Gelegenheit, dies zu tun.
»Es wird eine Zeit kommen«, sagte ich, »vielleicht schon bald, in der sich unsere Wege trennen. Doch noch haben wir anscheinend ein Stück gemeinsamen Weges vor uns. Ich kann für mich sprechen und sagen, dass ich froh darüber bin. Was dein Verständnis für mich angeht, so weiß ich, dass du mich besser als jeder andere Mensch auf dieser Welt verstehst, ganz gleich, wie mein Name lautet. So wie ich dich verstehe.« Und dann nahm ich meinen ganzen Mut zusammen und fragte ihn das, was ich so begierig war zu erfahren.
»Caleb, wirst du mir erzählen, was mit dir geschehen ist, als du ganz allein in die Wildnis gingst? Ist die Schlange am Ende doch noch zu dir gekommen?«
Sein Kinn fuhr hoch, als ich ihm diese Frage stellte. Er schaute mich weder an noch gab er mir eine Antwort. Schon seit der Frühe wehte ein warmer, leichter Wind aus Südwest. Während unseres Gesprächs hatte er gedreht und war aufgefrischt. Jetzt wehte er kräftig und anhaltend aus Norden. Man konnte seinen Schatten über der Meeresoberfläche sehen, wie er kleine weiße Gischtflecken aufschäumte. Das Strandgras, das sich unter ihm beugte, gab ein Wispern von sich, und die Eichen hinter den Dünen antworteten mit einem leisen Ächzen. Sandkörner schlugen mir ins Gesicht.
»Ja, sie kam.« Er war in seine Sprache, Wampanaontoaonk, übergewechselt. Obwohl über dem Strand ein grelles Licht lag, hatten sich Calebs Augen verfinstert, und das Schwarz der Pupillen schluckte den braunen Ring seiner Iris. »Die Nacht war kalt und sehr klar. Die Sterne leuchteten so hell, dass man bei ihrem Licht die Bäume zählen konnte … Ich hatte viele Tage gefastet. Ich trank weiße Nieswurz, würgte sie hoch, viele Male … Und ich wechselte zwischen dieser Welt und der anderen Welt hin und her. Und dann kam sie, die Schlange, ich nahm sie auf, in meine Hände, und ihre Macht ging in mich über.« Er hatte die Hände gehoben, die Handflächen gekrümmt, als wolle er wirklich jene muskelbepackte, sich windende Gestalt damit greifen. »Ich nahm sie, Sturm … Bethia. Ich nahm sie.« Seine Stimme war tiefer geworden und fand ihren eigenen Ton in seiner Muttersprache. » Pawaaw.«
Das Wort hing in der Luft. Ich dachte an Tequamuck. Ich weiß nicht, ob der Hexenmeister die Macht hatte, in mein Denken einzudringen, ob allein der Gedanke an ihn ausreichte, eine der dunklen Hexereien, die er beherrschte, heraufzubeschwören, oder ob er mit Hilfe von dämonischen Ritualen und beifußhaltigem Rauch Visionen hervorgerufen und mir über die große Entfernung hinweg zugehaucht hatte.
Der Himmel riss auf, und ich befand mich mitten in einem Sturm, in Nebel gehüllt. Ich wandte mich ab von den reißenden Sturzbächen des Regens, doch urplötzlich kam eine heftige Bö und riss mich empor, hob mich hinauf in die wirbelnde Luft. Dann fiel ich wieder, wie ein Senkblei, tief in die aufgewühlten Meereswogen. Als ich am Meeresgrund zur Ruhe
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