Insel zweier Welten: Roman (German Edition)
weitergegeben worden sei, damit wir es am Leben erhalten. So bin auch ich ein Dieb des Lichts, Bethia. Und da das Wissen sich offenbar nicht an Grenzen hält, werde ich es mir aneignen, wo immer ich kann. Bei Tageslicht in euren Klassenzimmern. Und bei Kerzenlicht aus euren Büchern. Und wenn nötig, gehe ich auch in die Dunkelheit, um es zu holen.«
Wir waren wirklich Seelenverwandte, Caleb und ich. Ich schlug die Hände vors Gesicht, doch Caleb ergriff sie und schob sie beiseite. »Sag es niemandem, Bethia. Du darfst mit niemandem darüber sprechen. Keine andere Menschenseele würde es begreifen. Nicht einmal Joel.« Er sah mich durchdringend an. »Ich bin mir nicht einmal sicher, ob du es begreifst.«
»Oh, ich verstehe es. Vielleicht mehr, als du denkst.« Meine Stimme war so schwach wie die eines maunzenden Kätzchens. Ich richtete mich auf, schwankte ein wenig. Sprechen konnte ich nicht mehr. Die Schatten waren länger geworden, denn es war bereits nach Mittag. Makepeace würde sich wundern, wo sein Essen blieb.
»Ich muss gehen«, sagte ich, immer noch erschüttert und um Selbstbeherrschung ringend. »Caleb, du sollst wissen, dass ich vorhabe, diese Arbeit als Dienstmagd anzunehmen, und auch wenn meine Gründe dir unklar bleiben, bitte ich dich darum, zu akzeptieren, dass ich diese Entscheidung aus freien Stücken getroffen habe. So wie ich versuche zu akzeptieren, was du sagst, selbst wenn es mir das Herz zerreißt.« Ich strich mir den Sand vom Rock, holte meine zerknitterte Haube hervor und versuchte, mein Haar wieder zusammenzustecken. Caleb wollte sich zu Fuß auf den Heimweg nach Great Harbor machen, doch das ließ ich nicht zu. Er stieg hinter mir auf Speckles Rücken, und wir wählten einen verborgenen Weg durch den Wald, damit uns niemand sehen konnte. Als Speckle an einer unebenen Stelle ins Straucheln kam, griffen seine Hände einen Moment lang nach meiner Leibesmitte, und mir wurde bewusst, dass es, so sehr ich in ihm auch den Bruder sehen wollte, doch nicht wirklich so war. In der Stadt würden wir noch mehr auf der Hut sein müssen, was unseren Umgang miteinander anging.
Etwa eine halbe Meile vor den ersten bebauten Feldern stieg er ab. Als er sich zum Gehen wandte, streckte ich die Hand nach ihm aus und berührte ihn leicht an der Schulter. »Noch etwas: Bewahre dir etwas Mitgefühl für Großvater und Makepeace. Auch wenn sie nicht immer alles gut machen, so meinen sie es doch gut. Davon bin ich aufrichtig überzeugt. Und das ist es auch, was Vater sich von dir wünschen würde.« Er hob das Kinn mit einer Geste, die ebenso gut Zustimmung wie Trotz ausdrücken mochte. Dann ritt ich allein weiter. Als ich zurückschaute, die Hand zum Abschiedsgruß gehoben, war er bereits zwischen den Bäumen verschwunden und nicht mehr zu sehen. Diese Kunst hatte er nicht verlernt.
Es war klug gewesen, Vorsicht walten zu lassen, denn Makepeace stand auf dem Hof, als ich einritt, und als er sah, in welchem Zustand ich mich befand, wurde er gelb vor Entrüstung. Offenbar kostete es ihn große Mühe, seine Wut im Zaum zu halten. Ich versuchte, mir vorzustellen, was geschehen wäre, hätte ich einen halb bekleideten Caleb hinter mir im Sattel gehabt. Beim Gedanken daran verzog sich mein Gesicht zu einem Lächeln, und als er das sah, nahm Makepeace seinen Hut und Stock und marschierte davon, weil er wahrscheinlich auch den Rest seiner Fassung verloren hätte, wenn er in meiner Nähe geblieben wäre.
Bis er zurück war, hatte ich das Pferd versorgt, mir das Haar ordentlich hochgesteckt, eine frische Haube aufgesetzt und eine herzhafte Mahlzeit zubereitet. Als Makepeace den Teller mit gebratenem Kabeljau und grünen Bohnen sah, sprach er ein wortreiches und von Herzen kommendes Dankgebet, wobei er in seinen Segen auch die Hände einschloss, die die Mahlzeit zubereitet hatten. Ich gab ihm auch ein Stück Sirupkuchen mit einer Schale Himbeeren zu essen. Als er alles bis auf den letzten Krümel verspeist hatte, teilte ich ihm mit, dass ich die Stellung als Dienstmagd annehmen würde. Von Herzen gern hätte ich ihn noch ein paar Tage zappeln lassen, doch die Reise musste geplant werden, und die Zeit war knapp.
XI
Ich hatte noch nie einen sogenannten Indenturvertrag gesehen, wie er bei einer Vertragsknechtschaft abgeschlossen wurde, und ganz gewiss hatte ich nie gedacht, meinen eigenen Namen auf einem solchen Schriftstück zu erblicken. Wenn ich mich überhaupt jemals mit der Frage beschäftigt hatte, so nur im
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