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Insel zweier Welten: Roman (German Edition)

Insel zweier Welten: Roman (German Edition)

Titel: Insel zweier Welten: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Geraldine Brooks
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einen kleinen Krug leichtes Bier ein, aber sie machte keinerlei Anstalten, davon zu trinken.
    »Ich höre, du bist eine ausgezeichnete Schülerin«, sagte ich. Sie schaute mich nicht an. Ihre grünen Augen richteten sich starr auf einen Brandfleck mitten auf dem Tisch, die dicken Brauen waren finster zusammengezogen, als bereite ihr das verkohlte Holz Unwohlsein.
    »Darf ich fragen, wie du mit deiner schulischen Ausbildung begonnen hast?«
    Sie zog scharf den Atem ein, als wolle sie etwas sagen, sprach aber kein Wort.
    »Wovor hast du Angst?«, fragte ich sie unvermittelt auf Wampanaontoaonk. Sie hob kurz den Kopf, in den grünen Augen blitzte Erstaunen auf. Einen Moment lang war ich wieder auf der Insel, war wieder ein Mädchen ihres Alters, das tropfend in einem Tümpel stand und den gleichen verblüfften Ausdruck auf dem Gesicht eines jungen Wilden sah, der ein Hemd aus Rehleder trug. Mir schien, dass sie mich verstand, doch konnte ich nicht sicher sein, da ich nicht wusste, wie eng verwandt die Sprachen der Wampanoag und der Nipmuc waren.
    »Wie kommt es, dass du diese Sprache beherrschst?« Sie sprach leise und mit einem ganz leichten Akzent Englisch.
    »Mein Vater war Missionar, und er sprach sie. Doch eigentlich habe ich sie von einem Freund gelernt, der Wampanoag ist. Wir sind zusammen aufgewachsen. Wie soll ich sagen … nun, wir haben als Kinder Zeit miteinander verbracht …« Das war mehr, als ich hatte preisgeben wollen, und so ließ ich den Satz im Raume stehen. Da sie jedoch nichts darauf zu antworten wusste, versuchte ich noch einmal auf meine frühere Frage zurückzukommen. »Und du? Wie hast du Englisch gelernt?«
    »Ich bin damit aufgewachsen.«
    »Haben deine Eltern es dir …«
    »Meine Eltern sind gestorben. Fleckfieber. Das ganze Dorf war daran erkrankt. Ich wurde von einem englischen Pelzhändler mitgenommen, der damals vorbeikam.«
    »In welche Stadt hat er dich gebracht?«
    »Keine Stadt.«
    »Du hast in der Wildnis gelebt?« Sie nickte. »War er es, der dir Lesen und Schreiben beigebracht hat, oder seine Frau?«
    Einen Augenblick lang schaute sie auf und senkte dann wieder den Blick. Sie rieb mit der Fingerspitze über den Brandfleck.
    »Er hatte keine Frau.«
    »Du hast ganz allein mit einem Engländer in der Wildnis gelebt?«
    »Bis er vor etwa einem Jahr gestorben ist, ja.«
    »Wer hat sich seither um dich gekümmert?«
    »Ich habe versucht, zu Fuß in mein Land zurückzukehren, um zu sehen, ob von meiner Familie noch jemand am Leben ist. Aber die Gendarmen haben mich auf der Straße aufgegriffen.«
    Vermutlich hatten sie sie für eine entlaufene Dienstmagd gehalten. »Haben sie dich eingesperrt?« Sie nickte. »Wurdest du misshandelt?« Ein Achselzucken war ihre einzige Antwort.
    »Wie kam es dann, dass der Gouverneur von deinem Fall hörte?«
    »Ich habe ihm geschrieben.«
    In knappen Sätzen erklärte sie, wie sie darum gebeten habe, wieder in die Wälder im Westen des Landes zurückkehren zu dürfen, aus denen man sie damals mitgenommen hatte, und berichtete von der Aufmerksamkeit in der Öffentlichkeit, die ihr so plötzlich und unerwartet zuteilwurde, nachdem der Gouverneur ihren Brief erhalten hatte. Er verweigerte ihr, zu den Verbliebenen ihres Volkes zurückzukehren. Stattdessen nahm er sie in seinem Haushalt auf und schickte sie bei einer Dame in der Nachbarschaft zum Unterricht.
    »Und als ich die Lehrerin auf Latein ansprach, hieß es, ich müsse hierherkommen.«
    » Latine loqueris?«, fragte ich überrascht. Der Master war offenbar davon ausgegangen, den Unterricht in dieser Sprache erst mit ihr zu beginnen.
    »Ein bisschen«, erwiderte sie. »Aber ich weiß nicht, ob ich es richtig ausspreche, weil ich es mehr durch Zufall aufgeschnappt habe.«
    »Der Master wird sich sehr freuen, wenn er hört, dass du schon damit angefangen hast, da bin ich mir sicher. Soll ich ihn jetzt holen? Fühlst du dich denn bereit, jetzt mit ihm zu sprechen?«
    In diesem Moment schoss ihre Hand über den Tisch und packte mich am Handgelenk. Es war eine weiche Hand. Die Hand einer feinen Dame. In meinem ganzen Leben hatte ich keine so makellose und weiche Hand gesehen wie die ihre. Ganz anders als meine eigene. Und auch als die meiner Mutter. Somit hatte jener Mann, wer auch immer es gewesen sein mochte, sie dort in der Wildnis nicht zu harter Arbeit herangezogen. Die grünen Augen unterzogen mich einen Moment lang einer genauen Prüfung. »Bitte. Nicht.« Jetzt zitterte sie wieder.
    »Mein

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