Inselglück
übernachteten in billigen Hotels und Pensionen. Meredith hatte ihre Reiseziele – Madrid, Barcelona, Paris, Venedig, Florenz, Wien, Salzburg, München, Amsterdam, London – genau geplant und ebenso das, was sie dort besichtigen würden. Sie wollte die Kunstmuseen und Kirchen sehen und jeden Ort, der literarisch relevant war – das Anne-Frank-Haus in Amsterdam, Shakespeare & Company in Paris. Meredith erklärte Freddy die Bedeutung von Giottos Fresken und den Unterschied zwischen Gotik und Romanik, und Freddy machte sich auf einem winzigen Block Notizen. Zuerst dachte Meredith, er wolle sie auf den Arm nehmen, doch wenn sie sich nachts in einem schmalen Bett aneinanderschmiegten, versicherte er ihr, dass sein Interesse aufrichtig sei. Sie sei diejenige, die Yeats gelesen und Kurse in Kunstgeschichte belegt habe, die Französisch spreche. Er sei nur ein ungebildeter Junge aus einem Haus mit Pappwänden im ländlichen New York, der versuche, mit ihr Schritt zu halten.
Vor ihrer Abfahrt gestand Freddy Meredith, dass er nicht genug Geld für eine solche Reise habe. Er habe alles, was er zum Studienabschluss bekommen hatte – hundert Dollar von seiner Mutter und tausend Dollar von den Dial-Alumni sowie einen Tausend-Dollar-Bonus vom Fachbereich Wirtschaftswissenschaften – in die Rückzahlung seiner Darlehen gesteckt. Meredith versicherte ihm, ihr Geld reiche für sie beide. Und siehe da, Freddy hielt Wort, und ihm wurde gleich zu Anfang das wenige Geld knapp, das er mitgebracht hatte, denn er gab den Großteil davon in einem Nachtclub in Barcelona aus. Weder Freddy noch Meredith hatten einen Nachtclub besuchen wollen, auf den Ramblas aber ein paar schicke katalanische Studenten kennen gelernt und sich von ihnen dazu überreden lassen. Sobald sie in dem Club waren und für zwei Bier exorbitante sechzehn Dollar zahlen sollten, schlug Meredith vor zu gehen, doch Freddy wollte bleiben. Die Studenten ergatterten einen Tisch nahe der Tanzfläche und bestellten mehrere Flaschen Cava. Meredith und Freddy tanzten unbeholfen zu der Discomusik, setzten sich dann wieder und unterhielten sich auf Englisch mit den Studenten. Freddy kehrte seine Nachhilfelehrermanieren heraus und korrigierte ständig ihre Grammatik. Meredith wurde betrunken und streitsüchtig – sie wollte gehen – , aber Freddy vertröstete sie immer wieder. Eine der Studentinnen, ein dunkelhaariges Mädchen, das Trina ähnelte, forderte Freddy zum Tanzen auf. Freddy schaute Meredith an und lehnte ab, und sie fühlte sich gezwungen zu sagen: »Sei nicht albern, Fred. Geh und tanz mit ihr.« Also tanzten Freddy und das Mädchen, und Meredith verzog sich auf die Toilette – wo alle Kokain schnupften oder sich in die Knöchel spritzten – und übergab sich. Sie legte ihr Gesicht auf die schmutzigen Fliesen neben der übel riechenden Kloschüssel und befand, dies sei bis auf die Stunde in Dustin Leavitts Apartment der tiefste Punkt ihres Lebens. Sie hatte nicht geglaubt, dass sie sich in Freddys Gegenwart so elend fühlen könnte, und überdies war sie ziemlich sicher, dass sie ihn an die Spanierin verlieren würde. Er würde sie heiraten, sich in Katalonien niederlassen und ihrem Vater auf seinem Olivengut helfen. Meredith stand erst auf, als jemand aggressiv gegen die Kabinentür trat und auf Deutsch etwas grölte. Als sie an den Tisch zurückkam, stand Freddy da und verkündete, sie würden gehen. Meredith war noch nie so erleichtert gewesen.
Als sie draußen waren, erzählt er ihr jedoch, er habe die Rechnung bezahlt, dreihundert Dollar, und sei jetzt praktisch pleite.
Meredith war es nicht gewöhnt, wütend auf Freddy zu sein. Verärgert, frustriert, eifersüchtig ja, aber nicht wütend, und so wusste sie gar nicht, wie sie ausdrücken sollte, was sie empfand.
»Warum hast du das getan?«, fragte sie. »Haben sie dich dazu aufgefordert? «
Freddy zuckte die Achseln. »Nein, ich wollte es.«
»Aber jetzt hast du kein Geld mehr.«
Er warf ihr einen schuldbewussten Blick zu. »Ich weiß.«
Und sie dachte: Meine Güte, Freddy, wie verantwortungslos.
Und sie dachte: Er hat es getan, um das Mädchen zu beeindrucken, das so aussieht wie Trina.
Und dann dachte sie, milder werdend, weil Freddy etwas an sich hatte, das sie immer dazu brachte, eine Entschuldigung für ihn zu finden: Er hat es getan, weil er von Natur aus großzügig ist und diese Fremden glücklich machen wollte.
Sie dachte damals nicht (wie sie es jetzt tat): Er wollte ihre Bewunderung, er
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