Inselkönig
darunter einen Schlachter in der Mittelstraße. Dort haben wir
feine Sachen entdeckt, unter anderem ein vielversprechendes Sauerfleisch.«
»Lass sehen«, wollte sich Große Jäger vordrängen, aber
Anna hielt ihn zurück. Stattdessen schmiegte sie sich an Mommsen und lächelte
Christoph an. »Die Leute haben uns nachgesehen und gedacht: Was ist das für ein
hübsches Paar.«
»Wie kommt so eine alte Frau nur an so einen jungen
Mann«, lästerte Große Jäger und bückte sich, als ihm ein Sofakissen
entgegenflog.
Alle beteiligten sich am Decken des Abendbrottisches,
und der Oberkommissar war ausgesprochen zufrieden, als er erfuhr, dass Anna und
Mommsen nicht nur Wein und Mineralwasser, sondern auch eine Kiste Bier besorgt
hatten.
Während des Essens berichteten Christoph und Große
Jäger von den Ergebnissen ihrer Ermittlungen.
»Wir, Hilke und ich, haben erfahren, dass Nommensen in
keinen wirtschaftlichen Problemen steckte. Seinem Unternehmen geht es gut. Da
ist von Krise nichts zu spüren. Und persönlich hatte er seine Schäflein auch im
Trockenen«, erzählte Mommsen. »Ich habe zudem versucht, etwas über die
Insolvenz vom alten Frederiksen in Erfahrung zu bringen. Leider habe ich nicht
viel herausgefunden. Es muss ziemlich heftig gewesen sein, jedenfalls ist der
Mann bis heute Hartz- IV -Empfänger.
Man munkelt, dass er aus diesem Dilemma auch nicht mehr herauskommen wird.«
»Hast du herausfinden können, wer Schlüssel zur
Vogelkoje hatte?«, fragte Große Jäger mit vollem Mund, nachdem er zuvor noch
einen herzhaften Bissen zu sich genommen hatte. Dann stutzte er. »Kann mir
jemand erzählen, was so eine Vogelkoje überhaupt ist?«
»Eine Vogelkoje ist …«, und: »Darunter versteht man
…«, begannen Christoph und Mommsen gleichzeitig.
Christoph zeigte auf Mommsen. »Bitte.«
»Eine Vogelkoje ist typisch für die Nordsee, besonders
auf den Nordfriesischen Inseln findet man sie. Ursprünglich kommt die Idee aus
den Niederlanden. Sie wurden speziell zum Entenfang errichtet.«
»Aha«, merkte der Oberkommissar mit vollem Mund an und
zeigte mit seiner Gabel auf Mommsen. »Erzähl ruhig weiter, Kind.«
»Man hat um einen künstlich angelegten Teich, auf dem
gezähmte Lockenten ausgesetzt wurden, eine Art kleines Wäldchen angelegt. Die
Wildenten haben ihre Artgenossen auf diesem aus ihrer Sicht geschützten Teich
gesehen und sich ebenfalls während ihres Vogelzugs darauf niedergelassen.
Meistens waren an den vier Ecken des Teichs Pfeifen angebracht.«
»Das ist doch blöde. Mit solchem Lärm verjagt man die
Enten wieder.« Große Jäger schüttelte den Kopf.
Mommsen lächelte. »Unter Pfeifen versteht man eine Art
kleinen Kanal, der mit einem Netz überspannt war. Am Ende waren Reusen, in die
die Wildenten mit Futter gelockt wurden. Dort stand der sogenannte Kojemann,
also der Kojenwart, der die Wildenten gekringelt hat.«
»Kannst du das ins Hochdeutsche übersetzen?«
»Er hat ihnen den Hals umgedreht«, erklärte Mommsen.
Große Jäger steckte sich eine ganze Tomate in den
Mund. »Dann ist ja alles ganz einfach. Morgen verhaften wir den Kojemann, der
Nommensen gekringelt hat. Gibt es kein Salz und keinen Pfeffer?«, fragte er
ansatzlos und ließ seinen Blick über den Tisch kreisen.
»Ich weiß sogar, wie der aktuelle Kojenwart heißt und
wo er wohnt.«
»Prima. Dann brauchst du mich gar nicht mehr. Dann
habe ich morgen frei. Gib mir mal ‘n Bier rüber.«
»Der gute Mann ist seit zwei Wochen mit seiner Frau
verreist. Er macht Urlaub auf Gran Canaria.«
»Und er ist zwischendurch nicht heimlich nach Föhr
gekommen, um Nommensen zu ermorden?«
»Kaum«, sagte Mommsen. »Im Sommer betreut er die
Vogelkoje und macht Führungen für die Urlaubsgäste. Natürlich hat er einen
Schlüssel. Wenn wir vermuten, dass er den zu Hause aufbewahrt, konnte dieser
Schlüssel nicht benutzt worden sein. Die Kollegen von der Wyker Zentralstation
haben seine Wohnung aufgesucht und berichtet, dass das Haus von jungfräulichem
Schnee umgeben ist. Da ist niemand hineingegangen.«
»Moment«, unterbrach Christoph. »Wir kennen nicht den
exakten Zeitpunkt, zu dem Nommensen ermordet wurde. Der Schneefall begann gegen
vier Uhr nachmittags. Es hat seitdem ununterbrochen geschneit. Wenn also jemand
im Haus des Kojenwarts war und sich den Schlüssel besorgt hat, sind seine
Spuren durch die folgenden Schneemassen wieder verdeckt worden.«
»Siehste«, merkte Große Jäger an. »Darum ist Christoph
auch Erster
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