Inselkönig
die es in jedem Elektronikmarkt zu kaufen gab. Sie reichte
Christoph das Gerät. »Ich versteh da nix von«, erklärte sie.
Christoph schaltete die Kamera ein. Gleich darauf
erschienen Große Jägers Füße auf dem Display. Nach wenigen Handgriffen hatte
Christoph sich so weit orientiert, dass er auf den Speicherchip zugreifen
konnte. Das letzte halbe Dutzend Bilder zeigte die zugeschneite Straße vor dem
Haus, dann folgten die Aufnahmen, die sie schon im Internet gesehen hatten. Es
schloss sich eine typische Amateuraufnahme an, die viel Himmel und am unteren
Rand August Hinrichsen zeigte, der sich aus dem Führerhaus des Radladers
herausbeugte. Auf den nächsten Bildern lümmelten sich ein paar Männer in
Arbeitskleidung, darunter Frerk Hoogdaalen, an Fahrzeugen auf dem
Betriebsgelände herum. Beim Rückwärtsblättern tauchten zwei Dutzend Bilder auf,
die das Wohnzimmer der Hinrichsens zeigten, den Tannenbaum, einen gedeckten
Tisch und weitere Aufnahmen, die zum Weihnachtsfest passten. Dann hielt
Christoph inne. Thies Nommensen und Inga Matzen gingen Arm in Arm auf dem Deich
spazieren. Im Hintergrund waren die Schaumkronen der Nordsee zu erkennen. Es
musste am Tag der Aufnahme sehr windig gewesen sein, denn die Haare der beiden
flatterten. Die junge Frau hatte sich in die Armbeuge Nommensens gekuschelt.
Der breitschultrige Mann hatte seinen Arm fürsorglich um ihre Schulter gelegt,
als würde er sie beschützen wollen. Christoph hatte einige Mühe, bis er die
Funktion fand, die ihm den Timestamp angab, das Datum der Aufnahme. Sie stammte
aus dem November des Vorjahres. Er zeigte Große Jäger das Bild.
»Das sieht nicht wie ein schnelles kurzes Abenteuer
aus«, stellte der Oberkommissar fest. Das ist«, er dachte kurz nach, »ein
Vierteljahr her. Nach allem, was wir gehört haben, entsprach das nicht
Nommensens Naturell. Ob da etwas dran ist?« Er ließ seine Vermutung unausgesprochen,
da Frau Hinrichsen ihrem Gespräch mit offenem Mund lauschte.
Christoph hatte ihn verstanden. Große Jäger wollte
damit auf Inga Matzens Aussage verweisen, die davon gesprochen hatte, dass
Nommensen es mit der Beziehung zu ihr ernst meinte. Wenn doch etwas daran wahr
war, dass der Tote alles aufgeben und mit der jungen Frau ein neues Leben
beginnen wollte? Dann hätten wiederum die Familienmitglieder ein vortreffliches
Motiv. Es war vertrackt in diesem Fall. Alle Beteiligten verschwiegen etwas,
jeder aus anderen Gründen. Und bei den bisherigen Ermittlungen waren die
Polizisten auf mehrere gute Gründe gestoßen, die alle ausgereicht hätten,
Nommensen zu ermorden.
Christoph blätterte im Speicher der Kamera weiter
zurück. Offenbar hatte Hinrichsen den Apparat längere Zeit nicht benutzt, denn
die folgenden Bilder waren ausschließlich Sommermotive. Sie zeigten jede Menge
weiblicher Badegäste, von jugendlichen Teenagern bis zu reiferen Frauen mit
üppigen Formen. Die Bildausschnitte waren so gewählt, dass sie besonders auf
die weiblichen Attribute ausgerichtet waren. Hinrichsen schien sich einem
Spanner gleich auf die Lauer gelegt zu haben, um wahllos Frauen zu
fotografieren, insbesondere wenn diese sich arglos dem Sonnenbad hingegeben
hatten.
»Wie ist das Verhältnis Ihres Mannes zu Frauen?«,
fragte Christoph.
Frau Hinrichsen sah ihn ratlos an. Sie hatte die Frage
nicht verstanden. »Wir sind schon lange verheiratet«, sagte sie.
»Hat Ihr Mann sich für andere Frauen interessiert?«
Sie lachte laut auf. »August? Das ist ein Scherz. Der
wollte nicht einmal was von mir wissen. Wenn er von der Arbeit nach Hause
kommt, ist er so groggy, dass er sich lang hinhaut. Ich bring ihm ‘ne Flasche
Bier. Oft muss ich ihn zum Abendbrot wecken, weil er eingepennt ist.«
»Es findet also kein Eheleben mehr zwischen Ihnen
statt?«
»Doch. Sagte ich eben. Wir sind schon lange
verheiratet.«
Christoph hatte den Eindruck, dass sein Gegenüber den
Sinn seiner Frage immer noch nicht verstanden hatte.
»Ich meine, pflegen Sie noch den intimen Umgang?«
Jetzt hatte sie es kapiert. Verlegen fuhr sie sich mit
der Hand durch die ungekämmten Haare. »Nicht oft. Wollen Sie genau wissen, wann
zuletzt?«
Christoph winkte ab. »Dürfen wir uns ein wenig bei
Ihnen im Haus umsehen?«
»Was suchen Sie denn?«
»Wir würden gern den Computer mitnehmen. Es wäre
schön, wenn Sie es gestatten würden. Wir müssten sonst eine richterliche
Anordnung anfordern.«
»Richterliche Anordnung?«, wiederholte Frau
Hinrichsen. »Wollen Sie mir nicht
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