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Inseln im Netz

Titel: Inseln im Netz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bruce Sterling
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Haut. Zum Teil gefärbtes Haar, zum Teil operativ entfernte Runzeln, zum Teil vielleicht Affendrüsen, oder wöchentliche Blutwäsche…
    »…volle Funktion, ja«, sagte Dr. Vampir. »Heutzutage können viele Menschen mit dem Tourettesyndrom ein ganz normales Leben führen.«
    Murmel murmel murmel aus den Reihen der Journalisten. Diese Sache sah aufgezeichnet und redigiert aus, Laura war nicht sicher, warum. Irgendwie fehlte das Gefühl von Unmittelbarkeit.
    »Nach dem Angriff hielt Miss Ting dem Premierminister die Hände«, sagte Dr. Vampir. »Dadurch kontaminierte das Übertragungsmittel auch ihre Finger. Natürlich war die Drogendosis sehr viel niedriger als jene, die der Premierminister empfing. Wir haben Miss Ting noch unter Beobachtung. Aber die Krämpfe und Zuckungen und so weiter waren in ihrem Fall nur andeutungsweise erkennbar.«
    Laura war schockiert. Die arme kleine Schauspielerin. Sie hatten Kim durch etwas getroffen, das er berührt hatte und sie hatte ihn bei den Händen gehalten. Eine makabre Art von handgreiflichem Humor, den Premierminister eines Landes durch Drogen zu einem Zerrbild seiner selbst zu machen, daß er wie ein tollwütiger Pavian schäumte und schrie. Großer Gott. Laura verpaßte die nächste Frage. Murmel murmel Grenada murmel.
    Stirnrunzeln, abwinkende Handbewegung. »Die Anwendung biomedizinischer Mittel im politischen Terrorismus eröffnet furchterregende Perspektiven. Sie verletzt alle ethischen Grundsätze.«
    »Elender Heuchler!« rief Laura dem Fernseher zu.
    Kurz darauf klopfte es leicht an ihre Tür. Laura schrak zusammen, zog ihren Schlafanzug zurecht. »Ja bitte?«
    Suvendras Mann steckte die Nase durch den Türspalt, ein zierlicher kleiner Mann mit einem Haarnetz und einem Papierpyjama.
    »Ich höre Sie wach«, sagte er höflich. Sein Akzent war noch schwerer verständlich als Suvendras. »An der Laderampe ist ein Bote. Er fragt nach Ihnen!«
    »Oh. Ja, gut, ich gehe gleich.« Er verschwand, und Laura fuhr in ihre blaue Hose und zog das Sporthemd über. Es war die grenadinische Arbeitshose - nun, nachdem sie sich daran gewöhnt hatte, fand sie Gefallen daran. Sie steckte die Füße in die billigen Sandalen aus geschäumten Kunststoff, die sie in Singapur für den Preis einer Packung Kaugummi gekauft hatte.
    Hinaus in den Korridor, die steile Treppe unter der Stahlkonstruktion mit den staubigen, von fern bläulich erhellten Fenstern hinunter. Draußen im Hof standen Dominostapel von Frachtcontainern. Ein Laderoboter stand räderlos auf einer hydraulischen Hebebühne. Es roch nach Reis und Fett und Kaffeebohnen und Gummi.
    Bei der Verladerampe stand einer von Suvendras Rizome-Leuten und sprach mit dem Boten. Sie sahen Laura kommen, und es gab ein kurzes rotes Aufglimmen in der Dunkelheit, als der Rizome-Angestellte eine Zigarette austrat.
    Der Bote hatte seine Füße auf die Lenkstange seiner Rikscha gelegt, einem eleganten, gefederten Dreirad aus lackierten Bambusstangen.
    Der Junge sprang mit balletthafter Leichtigkeit und Anmut von seinem Sitz. Er trug ein weißes Unterhemd und billige Papierhosen. Er mochte vielleicht siebzehn sein, ein Malaienjunge mit braunen Knopfaugen und sehnigen Armen. »Guten Abend, Madam.«
    »Guten Morgen wäre passender«, sagte Laura. Sie gaben sich die Hände, und er knickte den kleinen Finger ab, so daß er in ihre Handfläche drückte. Ein geheimes Erkennungszeichen?
    »Er ist faul und dumm«, sagte der Rizome-Angestellte mit eigentümlicher Betonung. Wie Suvendras übrige Leute, war auch dieser nicht aus Singapur, sondern ein Indonesier aus Djakarta. Er hieß Ali.
    »Wie?« sagte Laura.
    »Ich bin ungeeignet für normale Beschäftigung«, sagte der Bote bedeutsam.
    »Ah, ich verstehe.« Laura ging ein Licht auf. Der Junge kam von der einheimischen Opposition.
    Suvendra hatte ein wenig Solidarität mit dem Führer der Opposition zusammengekratzt. Sein Name war Razak. Wie Suvendra, war auch Razak Malaie und gehörte damit in einer zu achtzig Prozent chinesischen Stadt einer ethnischen Minderheit an. Bei den letzten Wahlen war es ihm gelungen, mit Mühe die notwendigen Stimmen für ein Parlamentsmandat zusammenzukratzen: zum Teil unter den ethnischen Minderheiten, zum Teil unter mehr oder weniger zweifelhaften Randgruppen.
    Razaks politische Philosophie war abenteuerlich und opportunistisch, aber er hatte den Angriffen von Kims herrschender Partei hartnäckig widerstanden. Dadurch war er jetzt in der Lage, im Parlament für die Regierung

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