Inseln im Netz
peinliche Themen zur Sprache zu bringen und unbequeme Anträge zu stellen. Seine Interessen deckten sich in einigen Bereichen mit Rizomes, also waren sie Verbündete.
Und Razaks Anhänger nutzten dieses Bündnis weidlich aus. Zerlumpte Banden von ihnen lungerten ständig bei der Rizome-Niederlassung herum, bettelten, benutzten Telefon und Toilette und vervielfältigten mit dem firmeneigenen Kopiergerät fragwürdige Propagandaschriften und Handzettel. Morgens versammelten sie sich in einem der städtischen Parks, aßen Proteinpaste und übten in ihren zerrissenen Papierhosen Karate.
Laura schenkte dem Jungen einen verschwörerischen Blick. »Danke für den späten Besuch. Hoffentlich weiß die Partei deine Hingabe zu würdigen.«
Der Junge zuckte die Achseln. »Kein Problem, Madam. Ich bin der Beobachter für Ihre Bürgerrechte.«
Laura blickte zu Ali. »Was?«
»Er bleibt die ganze Nacht hier«, sagte Ali. »Er beobachtet für Ihre Bürgerrechte.«
»Ach so. Danke«, sagte Laura. Als ein Vorwand, sich bei der Rizome-Niederlassung herumzutreiben, schien diese Erklärung so gut geeignet wie jede andere. »Wir könnten etwas zu essen herunterschicken.«
»Ich esse nur Scop«, sagte der Junge. Er zog einen zerknitterten Umschlag aus einem verborgenen Schlitz unter seinem Rikschasitz. Parlamentarisches Briefpapier: DER EHRENWERTE DR. ROBERT RAZAK, ABGEORDNETER DES WAHLBEZIRKS ANSON.
Sie öffnete den Umschlag. Darin steckte ein Computerausdruck, der mit einer hastig hingeworfenen Begleitnotiz in roter Tinte versehen war.
Trotz unserer wohlbegründeten ideologischen Opposition unterhält unsere Partei selbstverständlich Beziehungen zur Yung Soo Chim Islamischen Bank, und dort traf um 21:50 Uhr Lokalzeit diese Nachricht für Sie ein. Wenn Antwort erforderlich ist, benutzen Sie nicht das Telefonsystem. Mit den besten Wünschen in diesen schwierigen Zeiten.
Botschaft folgt: YDOOL EQKOF UHFNH HEBSG HNDGH QNOQP LUDOO. JKEIL KIFUL FKEIP POLKS DOLFU JENHF HFGSE! IHFUE KYFEN KUBES KUVNE KNESE NHWQQ? JEUNF HFENA OBGHE BHSIF WHIBE. QHIRS QIFES BEHSE IPHES HBESA HFIEW HBEIA!
DAVID
»Es ist von David«, platzte Laura heraus. »Meinem Mann.«
»Mann«, sagte der Botenjunge. Er schien zu bedauern, daß sie einen hatte.
»Warum dies? Warum hat er nicht das Leitungsnetz benutzt?« fragte Laura.
»Die Telefone sind außer Betrieb«, sagte der Junge. »Voller Spuk.«
»Spuk?« sagte Laura. »Du meinst Spione?«
Der Junge murmelte malaiische Worte. »Er meint Dämonen«, dolmetschte Ali. »Böse Geister.«
»Machst du Witze?«
»Es gibt böse Geister«, erwiderte der Junge ruhig. »Sie verbreiten terroristische Drohungen, um Panik und Zwietracht zu säen. So steht es in der Zeitung.« Er runzelte die Stirn. »Aber nur auf englisch, Madame! Sie gebrauchen keine malaiische Sprache, obwohl Malaiisch in der Verfassung von Singapur als eine Amtssprache gilt.«
»Was sagen die Dämonen?« fragte Laura.
»›Die Feinde der Rechtschaffenen werden in schwefligem Feuer brennen‹«, zitierte der Junge, ›»und der Wirbelsturm den Unterdrücker zu Boden schleudern‹. Und noch vieles in der Art. Sie nannten mich sogar beim Namen.« Er zuckte die Achseln. »Meine Mutter weinte.«
»Seine Mutter meint, er solle sich eine Arbeit suchen«, vertraute Ali ihr an.
»Die Zukunft gehört den Dummen und Faulen«, erklärte der Junge. Er machte es sich auf dem Passagiersitz seiner Fahrradrikscha bequem und legte die gekreuzten Füße auf den Sattel.
Ein Windstoß fuhr von der See herein. Laura rieb sich die Arme. Sie überlegte, ob sie dem Jungen ein Trinkgeld geben solle. Nein, dachte sie - Suvendra hatte ihr gesagt, Razaks Leute hätten eine seltsame Abneigung, Geld anzufassen. »Der Sumatra-Monsun kommt, Madame.« Er öffnete Scharniere und zog das Faltverdeck seiner Rikscha nach vorn. Der weiße Nylonstoff war rot, schwarz und gelb bemalt: ein lachender Buddha, mit Dornen gekrönt.
Im Büro der Niederlassung saß Suvendras Mann auf einer gesteppten grauen Decke unter dem wäßrigen Licht der Leuchtstoffröhren. Er hatte einen Fernseher eingeschaltet und trank Kaffee. Laura setzte sich zu ihm. »Wie soll man Schlaf finden?« sagte er. »Eine schreckliche Nacht. Ihre Botschaft, was sagt sie?«
»Was sagen Sie dazu? Sie ist von meinem Mann.«
Er las den Ausdruck. »Nicht englisch… eine Computerchiffre.«
Draußen rollte ein Laderoboter mit einem Frachtcontainer in den Hof. Er stapelte ihn mit einem mächtigen Zischen
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