Inseln im Netz
der Hydraulik. Mr. Suvendra beachtete ihn nicht. »Sie und Ihr Mann haben eine Chiffre? Einen Code? Um die Bedeutung einer Nachricht zu verbergen?«
»Wir haben nie so etwas benutzt! Das tun vielleicht die Triaden.«
Mr. Suvendra lächelte. »Triaden, tong. Wie wir, gute Gemeinschaft.«
»Nein, ich mache mir Sorgen! Ich muß sofort David anrufen!«
»Das Fernsehen sagt, der Telefonverkehr sei zusammengebrochen. Subversive Aktionen.«
Laura dachte nach. »Ich kann ein Taxi über die Wasserstraße nehmen und von einem Telefon in Johore anrufen. Das ist malaysisches Territorium.«
»Am Morgen«, sagte Suvendra.
»Nein! David könnte verletzt sein. Erschossen! Im Sterben liegen! Oder vielleicht unser Kind…« Schuldgefühle und Ängste brachen über sie herein. »Ich rufe sofort ein Taxi.« Sie befragte die Touristeninformation an ihrem Uhrtelefon.
»Taxis«, verkündete eine winzige blecherne Stimme. »Singapur besitzt rund zwölftausend automatische Taxis, davon achttausend mit Klimaanlage. Der Fahrpreis beträgt zwei Dollar für die ersten fünfzehnhundert Meter oder einen Teil davon…«
»Nun mach schon!« knirschte Laura.
»… werden auf der Straße angerufen oder telefonisch über die Taxizentrale bestellt. Die Nummer ist 452-5555…«
»Aha.« Laura drückte die Ziffern. Nichts geschah. »Scheiße!«
»Trinken Sie eine Tasse Kaffee«, sagte Mr. Suvendra.
»Sie haben das Telefonnetz lahmgelegt!« sagte sie, aber diesmal mit echtem Schmerz. »Das Netz ist unten! Ich kann nicht an das verdammte Netz!«
Suvendra strich über seinen bleistiftdünnen Schnurrbart. »So sehr wichtig ist es? In Ihrem Amerika?«
Sie schlug sich ärgerlich aufs Handgelenk. »David sollte jetzt hier sprechen! Was ist dies nur für ein Kaff!« Kein Zugang zum Netz. Auf einmal schien sie kaum Luft zu bekommen. »Passen Sie auf, Sie müssen eine andere Leitung haben, nicht? Fernschreiber oder Telefax oder was.«
»Nein, bedaure. Hier bei Rizome-Singapur ist alles noch ein bißchen roh und unfertig. Erst kürzlich sind wir in dieses wundervolle Haus gezogen.« Mr. Suvendra wedelte mit dem Arm. »Sehr schwierig für uns. Trinken Sie Kaffee, Laura, entspannen Sie sich. Könnte sein, daß die Botschaft nichts ist. Ein Trick von der Bank.«
Laura schlug sich vor die Stirn. »Ich wettet, die Bank hat Fernschreibverbindungen in alle Welt. Klar. Geschützte Faseroptik! Selbst Wien kann sie nicht anzapfen. Und die Bank ist in der Bencoolen Street, nicht so weit von hier.«
»Ach du liebe Zeit«, sagte Suvendra. »Sehr schlechte Idee.«
»Sehen Sie, ich kenne dort Leute. Den alten Mr. Shaw und ein paar von seinen Wächtern. Sie waren meine Hausgäste. Sie schulden mir eine Gefälligkeit.«
Er hob abwehrend die Hand. »Nein, nein.«
»Sie schulden mir eine Gefälligkeit. Die dummen Teufel, wozu sind sie sonst gut? Was sollen sie schon tun, mich erschießen? Das würde im Parlament schlecht aussehen, nicht wahr? Ich fürchte sie nicht, der Teufel soll sie doch alle holen! Ich gehe sofort hin.« Laura stand auf.
»Es ist sehr spät«, sagte Mr. Suvendra.
»Es ist eine Bank, nicht wahr? In Singapur haben die Banken vierundzwanzig Stunden geöffnet.«
Er blickte zu ihr auf. »Sind sie alle wie Sie, in Texas?« Laura furchte die Stirn. »Was soll das heißen?« Er überging die Frage. »Sie können kein Taxi rufen«, sagte er. »Sie können nicht im Regen gehen. Sie werden sich erkälten.« Er stand auf. »Sie warten hier, ich hole meine Frau.« Er ging.
Laura verließ das Gebäude. Ali und der Botenjunge saßen zusammen unter dem Verdeck auf dem Passagiersitz der Rikscha und hielten sich bei den Händen. Hatte vielleicht nichts zu bedeuten. Andere Kultur… wahrscheinlich aber doch…
»Hallo«, sagte sie. »Hmm… ich habe vorhin deinen Namen nicht mitgekriegt.«
»Sechsunddreißig«, sagte der Junge.
»Oh… Gibt es hier in der Nähe einen Taxistand? Ich brauche eins.«
»Ein Taxi«, sagte Sechsunddreißig, als hätte er nicht verstanden.
»Zur Yung Soo Chim Bank. In der Bencoolen Street.«
Sechsunddreißig zischte durch die Zähne. Ali grub eine Zigarette aus.
»Kann ich eine haben?« fragte Laura.
Ali entzündete und gab sie ihr, grinsend. Sie paffte. Der Rauch schmeckte wie brennender Müll mit Gewürznelkenaroma. Sie fühlte ihre Geschmacksknospen unter einem Überzug krebserregenden Speichels absterben. Ali war erfreut.
»In Ordnung, Madam«, sagte Sechsunddreißig mit fatalistischem Achselzucken. »Ich bringe
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