Inseln im Netz
zum Mitnehmen von einem Resopaltisch. Der Duft von Ingwer und gerösteten Garnelen bewirkte, daß ihr Magen sich schmerzhaft zusammenzog. »Sind Sie es?« sagte sie endlich.
Er blickte zu ihr herab. »An wen denken Sie?«
»Sticky?«
»Ja«, sagte er mit dem kinndrehenden Kopfnicken der Tamilen. »Ich und mein rechtschaffenes Ich.«
Laura rieb sich die Augen. »Sticky, diesmal sind Sie wirklich ganz anders… Ihre Wangen sind nicht richtig, und Ihre Haut… Ihr Haar… Sie hören sich nicht mal wie sonst an.«
Er grunzte.
Sie setzte sich aufrecht. »Was, zum Teufel, haben sie mit Ihnen gemacht?«
»Geschäftsgeheimnis«, sagte Sticky.
Laura blickte umher. Der Raum war klein und dunkel und stank. Nackte Spanplattenregale waren beladen mit Videokassetten, Segeltuchsäcken, Drahtspulen, Stapeln von Polyurethangeweben, Styropornudeln und Zellulose.
Ein weiteres, an die Wand geschraubtes Regal enthielt ein Dutzend billiger chinesischer Fernsehgeräte, auf denen Singapurer Straßenszenen flimmerten. An der anderen Wand lagerten aufeinandergestapelt Dutzende von halb ausgeweideten Kartons: Farben, Frühstücksflocken, Zellstofftücher, Kernseife, dazu Kanister unbekannten Inhalts und Rollen mit Isolierband. Jemand hatte Badeanzugaufnahmen von Miss Ting in die schmutzige Kochnische geheftet.
Es war heiß. »Wo sind wir?«
»Fragen Sie nicht«, sagte Sticky.
»Dies ist aber Singapur, nicht?« Sie blickte auf ihr bloßes Handgelenk. »Wie spät ist es?«
Sticky hielt das zerschmetterte Wrack ihrer Telefonuhr hoch. »Tut mir leid. Konnte dem Ding nicht trauen.« Er zeigte über den Tisch. »Setzen Sie sich, Memsahib!« Er grinste müde. »Ihnen traue ich.«
Laura stand auf und tappte zum zweiten Stuhl. Sie stützte sich auf den Tisch. »Wissen Sie was? Ich bin verdammt froh, Sie zu sehen. Ich weiß nicht, warum, aber es ist so.«
Sticky schob ihr die Reste seiner Mahlzeit zu. »Da, essen Sie. Sie waren eine Weile weggetreten.« Er wischte seine Plastikgabel an einer Papierserviette ab und gab sie ihr.
»Danke. Gibt es in diesem Depot eine Toilette?«
Er nickte. »Da drüben. Haben Sie bei der Bank einen Stich gefühlt? Sie sollten Ihre Beine da drin nach Nadellöchern untersuchen.«
Das Bad hatte die Größe einer Telefonzelle. Sie hatte sich während ihrer Bewußtlosigkeit naß gemacht - glücklicherweise nicht sehr, und die Flecken waren an ihrer weiten grenadinischen Arbeitshose nicht zu sehen. Sie säuberte sich, so gut es ging, und kam zurück. »Keine Nadellöcher, Hauptmann.«
»Gut«, sagte er. »Bin froh, daß ich Ihnen nicht eine von diesen bulgarischen Schrotkugeln aus dem Hintern graben muß. Was wollten Sie überhaupt bei diesen Leuten vor der Bank?«
»David anrufen«, sagte sie, »nachdem Sie das Telefonnetz sabotiert hatten.«
Sticky lachte. »Warum haben Sie nicht soviel Verstand, daß Sie bei Ihrem Bwana bleiben? Er ist nicht so dumm, wie er aussieht - hat jedenfalls genug Verstand, nicht hier zu sein.«
»Was tun Sie hier?«
»Ich amüsiere mich köstlich«, sagte er. »Das letzte Mal, vielleicht.« Er rieb sich die Nase - sie hatten auch etwas mit seinen Nasenlöchern gemacht: Sie waren schmaler. »Zehn Jahre wurde ich für so etwas ausgebildet. Aber nun bin ich hier und tue es, und es ist…«
Der Faden schien ihm zu entgleiten, und er zuckte die Achseln. »Ich sah Ihre Parlamentsanhörung. Einen Teil davon. Zu spät, aber wenigstens erzählen Sie ihnen das gleiche Zeug, das Sie uns erzählten. Das gleiche in Galveston, in Grenada und hier - für Sie ist es überall das gleiche, was?«
»Richtig, Hauptmann.«
»Das ist gut«, sagte er unbestimmt. »Wissen Sie, in Kriegszeiten… meistens tut man nichts. Man hat Zeit, nachzudenken… Wie unten bei der Bank. Wir wußten, daß diese verdammten Blutsauger dorthin laufen würden, wenn die Telefonleitungen gestört wären, und wir wußten, daß sie genau wie diese Blutsauger sind, die wir haben, aber sie dann dort zu sehen... es so geschehen zu sehen, so berechenbar…«
»Wie Uhrwerkspielzeug«, sagte Laura. »Wie Käfer… als ob sie überhaupt nicht zählten.«
Er sah sie überrascht an. Sie war selbst überrascht. Es war leicht, so zu reden, wenn sie zusammen mit ihm im Halbdunkel saß. »Ja«, meinte er. »Wie Spielzeug. Wie kleine Uhrwerkmännchen zum Aufziehen, die so tun, als ob sie Seelen hätten… Es ist eine aufgezogene Stadt, dieses Singapur. Voll von Lügen und Geschwätz und Bluff, und die Registrierkassen klingeln rund
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