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Inseln im Netz

Titel: Inseln im Netz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bruce Sterling
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fallen.
    Wenige Augenblicke später öffneten sich die Schleusen des Himmels, und ein weiterer Wolkenbruch ging auf die Stadt nieder. Monsunregen. Stürzende Wassermassen trommelten auf die leere Straße. Laura kauerte elend im Hauseingang, fing mit den Händen Regen auf, badete ihr Gesicht und die bloße Haut ihrer Arme. Zuerst schien das Wasser es schlimmer zu machen - ein böses Stechen, als hätte sie Tabascosoße geatmet.
    Über der geröteten Haut ihrer Handgelenke hatte sie jetzt zwei Plastikarmreifen. Ihre Füße in den billigen, klebrigen Sandalen brannten auch - nicht vom Regen, sondern von den Pfützen aus dem mit ätzender Lösung versetzten Tankinhalt des Wasserwerfers. Sie streckte die Beine hinaus in den prasselnden Regen, um sie reinzuwaschen.
    Sie mußte blindlings durch die Straßenschlacht gerannt sein. Niemand hatte sie auch nur angerührt. Aber an ihrem Schienbein klebte ein langer Plastikstreifen von einem Fesselgeschoß, und noch immer zuckte es schwächlich und zog sich zusammen, wie der abgetrennte Schwanz einer Eidechse. Sie zog den Streifen vom Hosenbein.
    Allmählich fand sie die Orientierung wieder - sie war bis in die Gegend der Victoria-und-Albert-Docks gelaufen, im Westen der Ostlagune. Im Norden sah sie die Hochhäuser des Sozialen Wohnungsbaus von Tanjong Pagar. Gelbbraune einförmige Ziegelbauten.
    Sie saß da, atmete schnell und flach, hustete in Abständen und spuckte aus. Sie wünschte, sie wäre bei ihren Leuten auf dem Dach. Aber es gab keine Möglichkeit, zu ihnen durchzukommen; es war keine vernünftige Option.
    Im Gefängnis würde sie ihnen ohnedies wieder begegnen. Wichtig war vor allem, aus diesem Kampfgebiet zu verschwinden und irgendwie ihre Verhaftung zu erreichen. Eine hübsche ruhige Gefängniszelle. Ja. Hörte sich gut an.
    Sie stand auf und wischte sich den Mund. Drei Fahrradrikschas sausten an ihr vorbei zur Ostlagune, alle besetzt mit durchnäßten, finsterblickenden Rebellen. Sie ignorierten Laura.
    Zwischen ihr und Tanjong Pagar waren zwei provisorische Straßensperren. Sie verließ ihren Hauseingang, lief durch den prasselnden Regen und überkletterte die Barrikaden. Niemand war in der Nähe, sie aufzuhalten.
    Die erste zum Tanjong-Sozialkomplex gehörende Glastür war aus ihrem Aluminiumrahmen geschlagen. Laura tappte über körniges, knirschendes Sicherheitsglas ins Innere. Das Haus war klimatisiert; ein unangenehm kühler Luftstrom durchdrang ihre nassen Kleider.
    Sie sah sich in einer schäbigen, aber sauberen Eingangshalle. Ihre Schaumstoffsandalen schmatzten unangenehm laut auf dem abgetretenen Linoleum. Der Hauseingang lag verlassen, die Bewohner respektierten vermutlich die Ausgangssperre der Regierung und hielten sich in ihren Wohnungen auf. Hier unten im Erdgeschoß gab es eine Anzahl kleiner Läden, Fahrradreparaturwerkstätten, ein Fischgeschäft, die Praxis eines Quacksalbers. Die Tür stand offen, alle Leuchtstoffröhren brannten, aber alles lag verlassen.
    Sie hörte ein entferntes Gemurmel von Stimmen. Ruhige, autoritätsgesättigte Töne. Sie ging darauf zu.
    Die Geräusche kamen von den Fernsehgeräten in einem Elektrogeschäft. Billige Apparate aus Brasilien und Maphilindonesia mit unnatürlich grellen Farben. Sie waren alle eingeschaltet, ein paar zeigten den Regierungskanal, auf anderen flimmerten schlecht eingestellte, zuckende Stationssymbole.
    Laura schob sich durch die Tür. Messingglocken klingelten. Das Innere des Ladens roch nach Jasmin-Räucherstäbchen. Die Wände waren tapeziert mit lächelnden, aufreizend gesunden Popstars aus Singapur: lässigen Burschen in glitzernden Smokings und niedliche Mädchen in Strohhüten und anliegendem Flitter. Laura stieg vorsichtig über einen umgeworfenen Kaugummiautomaten.
    Eine kleine alte Tamilenfrau war vor ihr in den Laden eingedrungen. Eine runzlige Alte, weißhaarig und einszwanzig groß, mit einem Witwenbuckel und Handgelenken, die dünn wie Vogelknochen waren. Sie saß in einem segeltuchbespannten Regisseurstuhl, starrte die leeren Bildschirme an und lutschte auf einem Mundvoll Kaugummikugeln.
    »Hallo?« sagte Laura. Keine Antwort. Die alte Frau sah aus, als ob sie taub wie ein Türpfosten wäre - senil, sogar. Laura näherte sich mit schmatzenden Sandalen. Plötzlich blickte die alte Frau erschrocken auf und zog den Schulterlappen ihres Saris sittsam über den Kopf.
    Laura kämmte sich das Haar mit den Fingern und fühlte Regenwasser über den Rücken rinnen. »Sprechen Sie englisch,

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