Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Inseln im Netz

Titel: Inseln im Netz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bruce Sterling
Vom Netzwerk:
der Schrägflügel-Kampfflugzeuge der Luftwaffe von Singapur überflog sie mit gedrosselten Triebwerken. Plötzlich legte es sich in einem eleganten Schwenk auf die Seite und stieß im Zielanflug abwärts, als wollte es seinem eigenen Schatten ausweichen. Wirklich gekonntes Fliegen. Sie beobachteten es mit offenem Mund.
    Etwas flog unter seinen Flügeln heraus. Eine Rakete. Sie hinterließ eine Rauchspur in der wassergesättigten Luft. Vom Hafen kam ein jäher Ausbruch grellgelben Feuers. Stahltrümmer und Fetzen vom zerrissenen Ladekran wirbelten durch die Luft.
    Donner rollte durch die leeren Straßen.
    Singh fluchte und wendete den Motorroller. »Feindlicher Angriff! Wir kehren sofort um!«
    Sie fuhren wieder die Rampe hinunter in die Tiefgarage. »Das war eine Maschine aus Singapur, Mr. Singh.«
    Singh tat, als höre er sie nicht. »Die Pflicht ist jetzt klar. Sie kommen mit mir, bitte.«
    Sie nahmen einen Aufzug zum sechsten Stock. Singh war schweigsam und hielt sich kerzengerade. Er wich ihrem Blick aus.
    Er führte sie einen Korridor entlang zu einer Wohnungstür und klopfte dreimal.
    Eine dickliche Frau in schwarzen Pumphosen und einem weiten Übergewand öffnete die Tür. »Meine Frau«, sagte Singh und bedeutete Laura, einzutreten.
    Die Frau starrte sie verblüfft an, dann faßte sie sich, lächelte liebenswürdig und nahm Laura bei der Hand. Laura hätte die Frau am liebsten umarmt.
    Es war eine Dreizimmerwohnung. Sehr bescheiden. Drei niedliche Kinder kamen neugierig ins Wohnzimmer gerannt: ein Junge von vielleicht neun Jahren, ein kleineres Mädchen und noch ein Junge, vielleicht zwei. »Sie haben drei Kinder, Mr. Singh?«
    Singh bejahte lächelnd. Er hob den Kleinsten auf und zauste ihm das Haar. »Macht viele Steuerprobleme. Man muß zwei Jobs arbeiten.« Er und seine Frau begannen in Hindi zu sprechen, gänzlich unverständlich, aber durchsetzt mit englischen Lehnwörtern wie fighter jet und television.
    Mrs. Singh, deren Name Aratavari oder so ähnlich war, führte Laura ins Elternschlafzimmer. »Wir werden Sie in trockene Kleider stecken«, sagte sie. Sie öffnete den Schrank und nahm ein zusammengelegtes Stück Stoff heraus. Es war atemberaubend: smaragdgrüne Seide mit goldener Stickerei. »Ein Sari wird Ihnen passen«, sagte sie und schüttelte das Kleidungsstück aus. Es war offensichtlich ihr bestes Stück. Eine Maharani hätte es zur rituellen Witwenverbrennung tragen können.
    Laura trocknete sich das Haar mit einem Handtuch. »Ihr Englisch ist sehr gut.«
    »Ich bin aus Manchester«, sagte Mrs. Singh. »Aber hier sind die Chancen besser.« Sie kehrte ihr höflich den Rücken, während Laura ihre durchnäßte Bluse und die Jeans auszog. Die zum Sari gehörende Bluse war in der Oberweite zu groß und um die Rippen zu eng. Mit dem Sari kam sie nicht zurecht. Mrs. Singh half ihr beim Anlegen und steckte ihn fest.
    Laura kämmte sich vor dem Spiegel. Ihre vom Tränengas brennenden Augen sahen wie gesprungene Murmeln aus. Aber der schöne Sari verlieh ihr ein halluzinatorisches Aussehen exotischer Majestät. Wenn David nur hier wäre… Plötzlich fühlte sie sich überwältigt vom Kulturschock.
    Barfuß und raschelnd folgte sie Mrs. Singh ins Wohnzimmer. Die Kinder lachten scheu, und Singh grinste sie an. »Oh. Sehr gut, Madam. Sie würden gern etwas trinken?«
    »Ein Glas Whiskey könnte ich wirklich vertragen.«
    »Kein Alkohol.«
    »Haben Sie eine Zigarette?« platzte sie heraus. Das Ehepaar Singh sah schockiert aus. »Verzeihung«, murmelte sie erstaunt, daß sie es gesagt hatte. »Es ist sehr freundlich von Ihnen, daß Sie mich aufgenommen haben.«
    Mrs. Singh schüttelte bescheiden den Kopf. »Ich sollte Ihre Kleider zur Wäscherei bringen, aber die Ausgangssperre verbietet es.« Der größere Junge brachte Laura eine Dose mit gekühltem Guavensaft. Er schmeckte wie gezuckerte Spucke.
    Sie setzten sich auf die Couch. Der Regierungskanal war eingeschaltet, mit gedämpfter Lautstärke. Ein chinesischer Journalist der Bodenkontrollstation interviewte den Kosmonauten, der noch in einer Umlaufbahn war. Der Kosmonaut brachte grenzenloses Vertrauen in die Regierungsbehörden zum Ausdruck. »Mögen Sie Curry?« fragte Mrs. Singh besorgt.
    Laura war überrascht. »Ja, schon, aber ich kann nicht bleiben.«
    »Sie müssen!«
    »Nein. Meine Firma hat abgestimmt. Es ist eine Frage der Politik. Wir gehen alle ins Gefängnis.«
    Die Singhs waren nicht überrascht, ließen es sich jedenfalls nicht

Weitere Kostenlose Bücher