Inseln im Netz
Madam?« Die alte Frau lächelte schüchtern. Sie zeigte zu einem Stapel der Segeltuchstühle, die zusammengeklappt an der Wand lehnten.
Laura holte einen. Die Rückenlehne trug eine Inschrift in exzentrisch aussehenden tamilischen Schriftzeichen - wahrscheinlich etwas Witziges und Amüsantes. Laura klappte den Stuhl auf und setzte sich neben die alte Frau. »Ah, können Sie mich hören, oder uh…«
Die alte Frau starrte geradeaus.
Laura seufzte. Es war ein gutes Gefühl, sich zu setzen.
Diese arme verwirrte alte Frau - Laura schätzte sie auf neunzig - war anscheinend heruntergewandert, vielleicht um Futter für den Kanarienvogel oder was zu besorgen, zu taub oder senil, um von der Ausgangssperre zu wissen. Und sie hatte eine leere Welt vorgefunden.
Laura untersuchte die Fernsehgeräte. Jemand - die alte Frau? - hatte sie auf alle möglichen Kanäle eingestellt.
Plötzlich stabilisierte sich das Flimmern und Zucken auf Kanal Drei.
Mit der Schnelligkeit eines Revolverhelden zog die alte Frau eine Fernbedienung. Der Regierungssprecher erlosch. Die Lautstärke vom Kanal Drei wurde aufgedreht, daß ein knisterndes Rauschen den Raum erfüllte.
Die Wiedergabe war kratziges Heimvideo. Laura sah das Bild wackeln, als der Mann im Senderaum die Kamera auf sein eigenes Gesicht richtete. Er war ein Chinese aus Singapur, sah ungefähr fünfundzwanzigjährig aus, hatte Hamsterbacken, eine dicke Brille und viele Schreibwerkzeuge in der Brusttasche.
Kein übel aussehender Bursche, aber ganz entschieden kein Fernsehmaterial. Normal aussehend. Auf der Straße würde man ihn nicht zweimal ansehen.
Er saß zurückgelehnt auf seiner Couch: Hinter seinem Kopf hing ein kitschiges Seestück an der Wand. Er trank aus einer Kaffeetasse und fummelte mit einem Mikrofon, das er an seinen Kragen geklemmt hatte. Laura konnte ihn laut schlucken hören.
»Ich glaube, ich bin jetzt auf Sendung«, verkündete er.
Laura tauschte einen Blick mit der kleinen alten Frau. Das alte Mädchen sah enttäuscht aus. Sprach nicht englisch.
»Dies ist mein privates VCR«, sagte der junge Mann. »Es sagt immer: ›Häng dich nicht an die Hausantenne, das kann Kanalverseuchung verursachen^ Streusignale, nicht wahr? Also habe ich es gemacht. Ich sende! Glaube ich jedenfalls.«
Er schenkte sich Kaffee nach. Seine Hand zitterte ein wenig. »Heute«, sagte er, »wollte ich mein Mädchen fragen, ob es mich heiraten will. Sie ist vielleicht kein solch wunderbares Mädchen, und ich bin auch kein besonders großartiger Mann, aber wir haben das Normalmaß. Ich glaube, wenn man das Bedürfnis hat, ein Mädchen zu fragen, ob es einen heiraten will, dann sollte das möglich sein. Alles andere ist unzivilisiert.«
Er beugte sich näher zur Kamera, und sein Kopf und die Schultern gerieten aus der Proportion. »Aber dann kommt diese Sache mit der Ausgangssperre. Sie gefällt mir nicht sehr, aber ich bin ein guter Bürger, und so sage ich mir, gut. Nur voran, Jeyaratnam, fang die Terroristen und gib ihnen Saures, wie sie es verdient haben. Dann kommt die Polizei in mein Haus.«
Er lehnte sich wieder zurück, ein nervöses Zucken im Gesicht, und seine Brille reflektierte eine Lichtspur. »Ich bewundere Polizisten. Der Polizist ist ein feiner, notwendiger Mann. Wenn ich einem begegne, der Streife geht, sage ich immer zu ihm: ›Guten Morgen, Wachtmeister, das ist gut so, bewahren Sie den Frieden.‹ Sogar zehn Polizisten sind in Ordnung. Sind es aber hundert, ändere ich schnell meine Meinung. Plötzlich ist meine Nachbarschaft voll von Polizisten. Tausenden. Mehr als andere Leute. Stürmen in meine Wohnung. Durchsuchen jeden Raum, durchwühlen meine Sachen. Nehmen meine Fingerabdrücke, sogar meine Blutprobe.«
Er zeigte ein Heftpflaster am Daumenballen. »Sie füttern mich in den Computer, ruckzuck, sagen mir, ich solle meine gebührenpflichtige Verwarnung endlich bezahlen. Dann rennen sie davon, lassen die Tür offen, kein Bitte oder Danke, vier Millionen andere müssen auch noch belästigt werden. Also schalte ich den Fernseher ein, um die Nachrichten zu sehen. Nur ein Kanal. Ich höre, wir haben wieder das Wasserreservoir in Johore besetzt. Wenn wir soviel Wasser haben, warum scheint die Südseite der Stadt dann zu brennen? Das frage ich mich.«
Er stellte seine Kaffeetasse energisch ab. »Ich kann meine Freundin nicht anrufen, kann meine Mutter nicht anrufen.
Kann mich nicht einmal bei meinem Abgeordneten beschweren, weil das Parlament jetzt suspendiert
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