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Inseln im Netz

Titel: Inseln im Netz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bruce Sterling
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Ohren. Rebellen klebten am Treppengeländer, die Gesichter geschwärzt, keuchend im lähmenden Griff der Plastikstreifen. Laura stolperte über die ausgestreckten Beine eines Jungen, der bewußtlos oder tot auf dem Treppenabsatz lag, das Gesicht von einem Geleegeschoß verunstaltet und verfärbt, blutend aus einer leeren Augenhöhle…
    Dann waren sie unten im Erdgeschoß und verließen das Treppenhaus. Sonnenschein strömte durch die eingeschlagenen Schaufensterscheiben und lag auf der Uferstraße, wo Polizisten und Aufrührer einander noch immer eine Straßenschlacht lieferten. Die Rebellen schienen dank ihrer zahlenmäßigen Überlegenheit allmählich die Oberhand zu gewinnen. Im Erdgeschoß der Rizome-Niederlassung hatten die Aufrührer eine Kombination von Gefechtsstand, Lazarett und Gefangenenlager eingerichtet, brüllten aufgeregt durcheinander, sägten mit Macheten die zähen Plastikstreifen von ihren Fessel-Opfern, schleiften gefangene Polizisten in Handschellen hinter einen Wall aus Lattenverschlägen… Sie blickten überrascht auf, dreißig schweißdurchnäßte, blutbeschmierte, aufgeregte Burschen, im Gegenlicht der sonnenbeschienenen Straße draußen.
    Einen Augenblick standen sie alle wie erstarrt. »Wo ist der Kontrollraum?« flüsterte Hotchkiss.
    »Ich habe gelogen«, zischte Laura zurück. »Ich weiß nicht, wo er ist.«
    »Verfluchte Kanaille«, knurrte Hotchkiss.
    Die ALP-Leute schoben sich vorwärts. Einige trugen erbeutete Polizeihelme, die meisten hatten Schutzschilde. Einer von ihnen feuerte plötzlich eine Fesselpatrone, die Oberleutnant Aw knapp verfehlte und sich wie geschmolzenes, spastisches Unkraut am Boden wand.
    Laura ließ sich schwer zu Boden fallen. Hotchkiss wollte sie hochreißen, besann sich eines Besseren und trat den Rückzug an, flankiert von seinen Helfern. Plötzlich machten sie kehrt und rannten nach hinten.
    Ein Strudel von Menschenleibern, Armen und Beinen, erfaßte Laura. Brüllende Männer rannten den Uniformierten nach, andere sprangen zu den Treppen, wo Hotchkiss' betäubte und geblendete Opfer stöhnten, jammerten, fluchten. Laura zog die Beine an, ballte die Fäuste stützend hinter den Rücken auf den Boden und versuchte sich mit eingezogenem Kopf klein zu machen.
    Ihre Gedanken rasten. Sie sollte zurück aufs Dach, sich ihren Leuten anschließen. Nein - lieber den Verletzten helfen. Nein - fliehen, die Polizei suchen, sich verhaften lassen. Nein, sie sollte…
    Ein schnurrbärtiger malaiischer Jüngling mit einer geschwollenen, aufgeschürften Backe bedrohte sie mit einer Machete. Er bedeutete ihr, aufzustehen, stieß sie mit dem Fuß.
    »Meine Hände«, sagte Laura.
    Der Junge sah sie erstaunt an. Er trat hinter sie und durchschnitt das zähe Kunststoffmaterial der Handschellen. Mit einem plötzlichen, befreienden Ruck und einem fast angenehmen Schmerz in den Schultern kamen ihre Arme frei.
    Er fauchte sie in zornigem Malaiisch an. Sie stand auf. Plötzlich war sie einen Kopf größer als er. Er trat einen Schritt zurück, zögerte, wandte sich zu einem anderen…
    Von der Straße blies Wind durch die zerbrochenen Scheiben, ein durchdringendes singendes Zischen von Triebwerken, das Pfeifen von Rotoren drang herein. Ein Hubschrauber war beinahe bis auf die Straßenebene heruntergegangen - man konnte die ausdruckslosen Helme hinter der Kanzelverglasung sehen. Ein explosives, puffendes Geräusch, als das Preßluftkatapult einen Kanister auswarf. Er flog durch die zerstörten Fenster herein, rollte, platzte auf, verströmte sprudelnd Nebel…
    Oh, verdammt. Tränengas. Ein erstickender Schwall davon traf sie, und sie spürte das Brennen der Säure an ihren Augäpfeln. Sie geriet in Panik. Nur hinaus! Sie krabbelte auf allen vieren, halbblind von Tränen, ausdörrenden, brennenden Schmerz in der Kehle. Keine Luft. Sie stieß gegen andere Leute, die hustend und schreiend umherwankten, stieß sich weiter, kam auf die Füße und lief…  lief ins Freie…
    Tränen strömten ihr über die Wangen. Wo sie ihre Lippen berührten, fühlte sie ein Prickeln und einen Geschmack wie von Kerosin. Sie lief weiter, mied die verschwommenen grauen Fronten der Gebäude am Straßenrand. Ihre Kehle und Lunge schien voller Angelhaken zu stecken.
    Bald erreichte sie das Ende ihres Adrenalinstoßes. Sie war zu verschreckt, um ihre Müdigkeit zu fühlen, aber die Knie gaben von selbst nach. Mit versagender Kraft hielt sie auf einen Hauseingang zu und ließ sich in einen Winkel

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