Inseln im Netz
anmerken, aber sie machten unglückliche und beunruhigte Gesichter. Laura hatte Mitleid mit ihnen. »Aber warum?« fragte Mrs. Singh.
»Wir sind hierher gekommen, um unseren Standpunkt vor dem Parlamentsausschuß zu vertreten und mit der Regierung zu verhandeln. Das wurde durch die Verhängung des Kriegsrechtes verhindert. Wir sind gegen dieses Kriegsrecht. Wir sind jetzt Feinde des Staates. Wir können nicht mehr mit ihm arbeiten.«
Singh und seine Frau berieten, während die Kinder am Boden saßen, ernst und mit großen Augen. »Sie bleiben hier in Sicherheit, Madam«, sagte Singh endlich. »Es ist unsere Pflicht.
Sie sind wichtiger Gast. Die Regierung wird verstehen.«
»Es ist nicht mehr dieselbe Regierung«, sagte Laura. »Die ganze Gegend um die Ostlagune ist jetzt Aufstandsgebiet. Dort bringen sie einander um. Ich sah es selbst. Die Luftwaffe hat gerade eine Rakete in das Hafengebiet gefeuert, vielleicht in unser Eigentum. Vielleicht tötete sie einige von unseren Leuten, ich weiß es nicht.«
Mrs. Singh erbleichte. »Ich hörte die Explosion - aber im Fernsehen haben sie nichts gebracht…« Sie wandte sich zu ihrem Mann, der verdrießlich auf den Teppich starrte. Sie begannen wieder zu reden, aber Laura fiel ihnen ins Wort.
»Ich habe kein Recht, Sie alle in Schwierigkeiten zu bringen.« Sie stand auf. »Wo sind meine Sandalen?«
Auch Singh stand auf. »Ich begleite Sie, Madam.«
»Nein, bleiben Sie lieber hier und bewachen Sie Ihr Haus«, widersprach Laura. »Sie werden bemerkt haben, daß die Türen unten aufgebrochen sind. Diese ALP-Leute haben unsere Niederlassung besetzt - sie könnten jederzeit auch hier hereinkommen und alle Bewohner als Geiseln nehmen: Es ist ihnen ernst; sie sind fanatisch.«
»Ich fürchte den Tod nicht«, beharrte Singh. Seine Frau begann ihn zu schelten. Laura fand ihre Sandalen - das Kleinkind spielte hinter der Couch mit ihnen. Sie schlüpfte hinein.
Singh stürmte mit rotem Kopf aus der Wohnung. Laura hörte ihn im Hauskorridor rufen und mit seinem Stock an die Türen schlagen. »Was geht vor?« fragte sie.
Die beiden älteren Kinder waren zu Mrs. Singh gelaufen, hielten sich an ihr fest und drückten die Gesichter in ihre Kleider. »Mein Mann sagt, er sei es, der Sie gerettet habe, eine bekannte Frau vom Fernsehen, die wie eine verirrte nasse Katze ausgesehen habe. Und daß Sie in seinem Haus das Brot mit ihm gebrochen hätten. Er werde keine hilflose Ausländerin fortschicken, daß sie wie ein streunender Hund auf der Straße erschlagen werde.«
»Er scheint in seiner Sprache recht wortgewandt zu sein.«
»Das erklärt es vielleicht«, sagte Mrs. Singh und lächelte.
»Ich glaube nicht, daß man bei einer Dose Guavensaft von ›Brotbrechen‹ sprechen kann.«
Sie tätschelte den Kopf ihrer kleinen Tochter. »Er ist ein guter Mann. Er ist ehrlich und arbeitet sehr angestrengt, und ist nicht dumm oder böse. Niemals schlägt er mich oder die Kinder.«
»Das ist sehr nett«, versicherte Laura.
Mrs. Singh blickte ihr ins Auge. »Ich sage Ihnen dies, Laura Webster, weil ich nicht will, daß Sie das Leben meines Mannes wegwerfen: Nur weil Sie eine Politische sind, und er nicht viel zählt.«
»Ich bin keine Politische«, protestierte Laura. »Ich bin bloß eine Person, wie Sie.«
»Wenn Sie wie ich wären, würden Sie zu Hause bei Ihrer Familie sein.«
Plötzlich stürzte Singh herein, faßte Laura beim Arm und zog sie aus der Wohnung. Überall im Hauskorridor waren die Türen offen, und verwirrte und zornige Inder in Unterhemden drängten durcheinander. Als sie Laura erblickten, verstummte ihr aufgeregtes Geschnatter. Sie umringten sie. »Namaste, namaste«, murmelten sie die indische Begrüßung, nickten über den zusammengelegten Handflächen. Dann neuerliches Stimmengewirr.
»Mein Sohn, mein Sohn«, rief ein fetter Kerl auf englisch. »Er ist ALP, mein Sohn!«
Der Aufzug kam, und sie drängten mit Laura hinein, bis es den Fahrkorb zu sprengen drohte; die anderen liefen zur Treppe. Der Aufzug sank langsam tiefer, knarrend, mit ächzenden Kabeln.
Minuten später waren sie draußen auf der Straße. Laura wußte nicht, wie es zu der Entscheidung gekommen war, oder ob überhaupt jemand bewußt eine getroffen hatte. Überall waren die Fenster aufgerissen, und in der feuchten Nachmittagshitze riefen die Leute hinauf und herab. Mehr und mehr Bewohner kamen aus den Häusern, eine menschliche Flut: nicht zornig, sondern in manischer Aufgeregtheit, wie Kinder, die
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